Garp und wie er die Welt sah
Jenny Fields’ Leben hatte damit geendet, dass sie sagte: »Die
meisten von Ihnen wissen, wer ich bin.« Im Flugzeug probierte Garp den Satz
aus.
»Die meisten von Ihnen wissen,
wer ich bin«, flüsterte er. Duncan schlief, aber Helen hörte es; sie griff über
den Mittelgang hinüber und hielt Garps Hand.
Tausende von Metern über dem
Meeresspiegel weinte T.S. Garp in dem Flugzeug, das ihn nach Hause brachte, in
sein gewalttätiges Land, wo er berühmt sein würde.
[672] 17
Die erste feministische
Beerdigung,
und nicht nur die
Seit Walts Tod«,
schrieb T.S. Garp, »fühlt sich mein Leben wie ein Epilog an.«
Als Jenny Fields starb, steigerte
sich für Garps Gefühl seine Verwirrung noch – jenes Gefühl, die Zeit verginge
nach einem geheimen Plan. Doch was für ein Plan war das überhaupt?
Garp saß in John Wolfs New Yorker
Büro und versuchte, die Unmenge von Verpflichtungen zu fassen, die mit dem Tod
seiner Mutter zusammenhingen.
»Ich habe keine Beerdigung
bestellt«, sagte Garp. »Wie kann es eine Beerdigung geben? Wo ist die Leiche,
Roberta?«
Roberta Muldoon sagte geduldig,
die Leiche sei dort, wo sie nach Jennys Wunsch habe hinkommen sollen. Das
Wichtige sei nicht die Leiche, sagte Roberta. Es solle einfach so etwas wie
eine Gedenkfeier geben, die man sich besser nicht als »Beerdigung« vorstellte.
Die Zeitungen hatten erklärt, es
solle die erste feministische Beerdigung in New York werden.
Die Polizei hatte erklärt, man
müsse mit Ausschreitungen rechnen.
»Die erste feministische
Beerdigung?«, fragte Garp.
[673] »Sie hat so vielen Frauen so
viel bedeutet«, sagte Roberta. »Sei nicht böse. Sie hat dir nicht allein gehört, verstehst du?«
John Wolf verdrehte die Augen.
Duncan Garp sah aus dem Fenster
von John Wolfs Büro, vierzig Stockwerke über Manhattan. Wahrscheinlich kam es
ihm ein bisschen so vor, als säße er noch in dem Flugzeug, das er eben erst
verlassen hatte.
Helen telefonierte in einem
Nebenraum. Sie versuchte, ihren Vater in dem guten alten Städtchen Steering zu
erreichen, damit Ernie sie alle in Boston vom Flugplatz abholte.
»Na schön«, sagte Garp langsam;
er hielt das Baby, die kleine Jenny Garp, auf dem Schoß. »Na schön. Du weißt,
dass ich nichts davon halte, Roberta, aber ich werde kommen.«
»Sie werden kommen ?«, sagte John Wolf.
»Nein!«, sagte Roberta. »Ich
meine, du musst nicht kommen«, sagte sie.
»Ich weiß«, sagte Garp. »Aber du
hast recht. Wahrscheinlich hätte ihr so etwas gefallen, also werde ich kommen.
Was steht denn alles auf dem Programm?«
»Eine Menge Reden«, sagte
Roberta. »Das willst du dir doch nicht antun.«
»Und man wird aus ihrem Buch
lesen«, sagte John Wolf. »Wir haben ein paar Exemplare gestiftet.«
»Aber das willst du dir bestimmt auch nicht antun, Garp«, sagte Roberta nervös.
»Bitte, tu’s nicht.«
»Ich möchte kommen«, sagte Garp.
»Ich verspreche euch, dass ich nicht zische oder buhe – was immer die
Arschlöcher auch über sie sagen. Ich habe da etwas von [674] ihr, das ich selbst
vorlesen könnte, falls es irgendwen interessiert«, sagte er. »Habt ihr jemals
gelesen, was sie dazu schrieb, als Feministin bezeichnet zu werden?« Roberta
und John Wolf sahen sich an; sie wirkten grau und angeschlagen. »Sie sagte:
›Ich werde ungern so genannt, weil es ein Etikett ist, das ich mir nicht selbst
ausgesucht habe, um meine Einstellung zu Männern oder meinen Schreibstil zu
charakterisieren.‹«
»Ich möchte nicht mit dir
streiten, Garp«, sagte Roberta. »Nicht jetzt. Du weißt genau, dass sie auch
andere Dinge gesagt hat. Sie war eine Feministin, ob
ihr das Etikett nun passte oder nicht. Sie war einfach deshalb eine, weil sie
auf all das Unrecht hinwies, das Frauen angetan wird; und deshalb, weil sie
dafür eintrat, Frauen ihr eigenes Leben leben und ihre Entscheidungen selbst
treffen zu lassen.«
»Ach?«, machte Garp. »Hat sie
vielleicht geglaubt, alles, was Frauen passiert,
passiert ihnen, weil sie Frauen sind?«
»Das glaubst du doch selber
nicht, Garp«, sagte Roberta. »Du stellst uns alle hin, als wären wir
Ellen-Jamesianerinnen.«
»Hört jetzt bitte auf, ihr
beiden«, sagte John Wolf.
Jenny Garp quäkte kurz und
patschte auf Garps Knie; er sah sie überrascht an – als hätte er vergessen,
dass er ein lebendes Wesen auf dem Schoß hatte.
»Was ist denn?«, fragte er sie.
Aber das Baby studierte wieder still ein Muster in John Wolfs Bürolandschaft,
das den anderen verborgen
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