Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Die Spitzenmannschaft würde ohne einen
Nachfolger für Ernie Holm die Talfahrt antreten.
    »Und Sie wollen wirklich kein
Geld?«, fragte ihn der Sport-Fachbereichsleiter.
    »Ich brauche kein Geld«, erklärte Garp ihm, »sondern eine Aufgabe – etwas, das nichts mit Schreiben zu tun hat.« Außer
Helen wusste niemand, dass es auf dieser Welt nur zwei Dinge gab, die T.S. Garp
je gelernt hatte: Er konnte schreiben, und er konnte ringen.
    Helen war vielleicht der einzige
Mensch, der wusste, warum er (zurzeit) nicht schreiben konnte. Ihre Theorie
sollte später von dem Kritiker A. J. Harms formuliert werden, der die
Behauptung aufstellte, Garps Schaffen werde durch die immer engeren Parallelen
zu seiner Lebensgeschichte in zunehmendem Maße in Mitleidenschaft gezogen. »Je
autobiographischer er wurde, desto seichter [721]  wurden seine Texte; außerdem
wurde er immer befangener. Es war, als wüsste er, dass die Arbeit – dieses
Ausschlachten von Erinnerungen – ihn nicht nur persönlich stärker mitnahm, sondern ihn auch in jeder Hinsicht schwächer und
phantasieloser machte«, schrieb Harms. Garp hatte die Freiheit eingebüßt, sich
das Leben wahrhaftig vorzustellen, die er sich und
uns so frühzeitig mit der Brillanz der Pension Grillparzer versprochen hatte. Harms zufolge könnte Garp jetzt nur noch qua Erinnerung wahrhaftig sein, und diese Methode wäre – im
Gegensatz zur Imagination – nicht nur psychisch bedenklich für ihn, sondern
auch weit weniger ergiebig.
    Aber im Nachinein hatte Harms gut
reden; Helen wusste seit dem Tag, an dem Garp die Stelle als Ringertrainer der
Steering School annahm, dass dies Garps Problem war. Er würde keineswegs an
Ernie Holm heranreichen, das wussten sie beide, aber er würde eine passable
Mannschaft haben, und Garps Ringer würden immer öfter gewinnen als verlieren.
    »Versuch es doch mit Märchen«,
schlug Helen vor; sie dachte öfter an sein Schreiben alser.
»Versuch, etwas frei zu erfinden, von Anfang bis Ende – vollkommen ausgedacht.«
Sie sagte nie: »wie Die Pension Grillparzer «; sie
erwähnte die Erzählung nie, obwohl sie wusste, dass er jetzt auch ihrer Meinung
war: sie war das Beste, was er je geschrieben hatte. Leider war sie auch das
Erste gewesen.
    Jedes Mal wenn Garp zu schreiben
versuchte, sah er nur das stumpfe Rohmaterial seines eigenen Lebens vor sich:
den grauen Parkplatz in New Hampshire, die Reglosigkeit von Walts kleinem
Körper, die glänzenden Mäntel und [722]  roten Mützen der Jäger – und Pu Percys
geschlechtslosen, selbstgerechten Fanatismus. Diese Bilder führten
nirgendwohin. Er verbrachte eine Menge Zeit damit, in seinem neuen Haus
herumzuwerkeln.
    Midge Percy erfuhr nie, wer ihren
Familiensitz und ihr Geschenk an die Steering School gekauft hatte. Falls Stewie
Zwei es je herausfand, war er zumindest so klug, es nie seiner Mutter zu
erzählen, deren Erinnerung an Garp von ihrer frischeren Erinnerung an den
netten Mr. Smoans überlagert war. Midge Steering-Percy starb in einem
Pflegeheim in Pittsburgh – da Stewie Zwei in Aluminium machte, hatte er seine
Mutter nicht weit von der Stelle untergebracht, wo all das Metall hergestellt
wurde.
    Weiß Gott, was mit Pu passierte.
    Helen und Garp richteten das alte
Steering’sche Herrenhaus, wie es von vielen Leuten an der Schule genannt wurde,
her. Der Name Percy verblasste schnell; in den Erinnerungen der meisten war
Midge nun nur noch Midge Steering. Garps neues Haus
war das stilvollste Gebäude von ganz Steering und Umgebung, und wenn die
Schüler von Steering ihren Eltern oder angehenden Schülern den Campus zeigten,
sagten sie selten: »Und das ist das Haus von T.S. Garp, dem Schriftsteller. Es
war ursprünglich das Haus der Steerings und wurde 1781 erbaut.« Die Schüler
hatten mehr Sinn für Humor; gewöhnlich sagten sie: »Und das ist das Haus von
unserem Ringertrainer.« Und die Eltern warfen einander höfliche Blicke zu, und
der angehende Schüler fragte dann: »Ist Ringen ein wichtiger Sport an der Steering School?«
    Sehr bald schon, dachte Garp,
würde auch Duncan ein [723]  Steering-Schüler sein; das war eine ungetrübte Freude,
die Garp kaum abwarten konnte. Er vermisste Duncan im Ringerraum, aber er war
froh, dass der Junge seinen Platz gefunden hatte: das Schwimmbecken – was
entweder seiner Begabung oder seinem Sehvermögen, oder beidem, entsprach.
Duncan besuchte den Ringerraum manchmal in Handtücher gehüllt und vom Wasser
zitternd, setzte sich auf eine der Matten

Weitere Kostenlose Bücher