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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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irgendjemandem auf den Mund küssen zu lassen, weil sie keine Zunge mehr hat.
Allen Beeinträchtigungen und Behinderungen zum Trotz heiratet das junge Paar.
Die Handlung wird pantomimisch und mit Untertiteln von Ellen erzählt. Das Beste
an dem Film, sollte Duncan später sagen, ist, dass er nur sieben Minuten
dauert.
    Ellen James war Helen auch bei der
kleinen Jenny eine große Hilfe. Ellen und Duncan bewährten sich als Babysitter
bei dem Kind, das Garp Sonntags nachmittags in den Ringerraum mitnahm; dort,
behauptete er, würde es gehen, laufen und hinfallen lernen, ohne sich weh zu
tun, obwohl Helen meinte, die Matte würde die Kleine zu der trügerischen
Annahme verleiten, die Welt unter ihren Füßen sei schwabbelig wie ein Schwamm.
    »Aber so fühlt die Welt sich doch an«, sagte Garp.
    Seit er mit Schreiben aufgehört
hatte, erwuchs die einzige konstante Reibung in seinem Leben aus der Beziehung
zu seiner besten Freundin, Roberta Muldoon. Aber Roberta war nicht die Ursache der Reibung. Nach Jenny Fields’ Tod stellte Garp
fest, dass ihr Nachlass gewaltig war und dass Jenny, wie um ihren Sohn zu
ärgern, ihn dazu bestimmt hatte, ihren letzten Willen
betreffs ihres märchenhaften Vermögens und des Hauses für geschundene Frauen in
Dog’s Head Harbor zu vollstrecken.
    »Warum gerade mich ?«, hatte Garp gejault. »Warum nicht dich ?«,
brüllte er Roberta an. Aber Roberta Muldoon war ziemlich beleidigt, dass nicht sie eswar.
    »Keine Ahnung. Ja, warum gerade
dich?«, stimmte Roberta zu. »Ausgerechnet.«
    [727]  »Mom wollte mir eins
auswischen«, meinte Garp.
    »Oder sie wollte dich zum Nachdenken anregen«, sagte Roberta. »Was war sie doch für
eine gute Mutter!«
    »O Mann«, sagte Garp.
    Wochenlang grübelte er über den
einzigen Satz nach, mit dem Jenny letztwillig verfügt hatte, was mit ihrem Geld
und ihrem riesigen Haus am Meer geschehen sollte.
    Ich
möchte ein Refugium für Frauen hinterlassen, die es verdienen, wieder zu sich
zu finden und einfach nur sie selbst zu sein, ungestört und unter sich.
    »O Mann«, sagte Garp.
    »Eine Art Stiftung?«, riet
Roberta.
    »Die Fields Foundation«, schlug
Garp vor.
    »Toll, irre!«, sagte Roberta.
»Ja, Stipendien für Frauen – und ein Zufluchtsort.«
    »Um was zu tun?«, sagte Garp. »Und Stipendien wofür ?«
    »Um sich zu erholen, wenn sie es
nötig haben, oder um ungestört zu sein, wenn sie das brauchen«, sagte Roberta.
»Und um zu schreiben, wenn das ihr Ding ist – oder zu malen.«
    »Oder ein Heim für ledige
Mütter?«, sagte Garp. »Ein ›Erholungsstipendium‹? O Mann.«
    »Mach dich nicht lustig«, sagte
Roberta. »Es ist wichtig. Verstehst du denn nicht? Sie wollte, dass du die Notwendigkeit einsiehst, sie wollte, dass du die
Probleme anpackst.«
    »Und wer entscheidet, ob eine
Frau ›es verdient‹?«, fragte Garp. »O Mann, Mom!«, rief er aus. »Für diesen
Scheiß könnte ich dir den Hals umdrehen!«
    [728]  » Du entscheidest darüber«, sagte Roberta.» Das wird dich zum Nachdenken anregen.«
    »Wie wäre es mit dir ?«, fragte Garp. »Es ist genau das Richtige für dich,
Roberta.«
    Roberta war sichtlich hin- und
hergerissen. Sie teilte mit Jenny Fields das Verlangen, Garp und andere Männer
über die Legitimität und Komplexität weiblicher Bedürfnisse aufzuklären. Außerdem
glaubte sie, Garp würde dabei Schiffbruch erleiden, und sie wusste, dass sie es
sehr gut machen würde.
    »Wir machen es zusammen«, sagte
Roberta. »Das heißt, du bist verantwortlich, aber ich berate dich. Ich sag dir
Bescheid, wenn ich finde, dass du einen Fehler machst.«
    »Roberta«, sagte Garp, »du sagst
mir doch andauernd, dass ich einen Fehler mache.«
    Unter Aufbietung ihres ganzen
Flirtrepertoires küsste Roberta ihn auf den Mund und haute ihn auf die Schulter – beides so schwungvoll, dass er zusammenzuckte.
    »Meine Güte«, sagte Garp.
    »Die Fields Foundation!«, rief
Roberta. »Das wird wunderbar.«
    So blieb Reibung im Leben von T.S. Garp, der ohne jegliche Reibung wahrscheinlich
die Orientierung und seinen Standort in der Welt verloren hätte. Reibung hielt
Garp am Leben, wenn er nicht schrieb; Roberta Muldoon und die Fields Foundation
würden ihm zumindest Reibung verschaffen.
    Roberta wurde die Verwalterin der
Fields Foundation in Dog’s Head Harbor, wo sie auch wohnte; das Haus wurde
gleichzeitig eine Schriftstellerinnenkolonie, ein [729]  Erholungsheim und ein
Geburtsberatungszentrum – und die wenigen Mansardenzimmer, die

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