Garp und wie er die Welt sah
Anbetracht
der Tatsache, dass sie schließlich Friseurin ist – hätte sie eine Blockade
entwickelt und es beiseite gelegt. Und würde sich auch
nicht mehr an Ihr Bild auf dem Umschlag [735] erinnern, nur an Ihr Gesicht, und
auch das nur vage (Sie waren natürlich ein Gesicht,
das in den Fernsehnachrichten auftauchte, aber im Grunde nur unmittelbar nach
Jennys Ermordung). Sicher war Jennys Gesicht damals das einzige, das man
behielt. Eine Frau wie Mrs. Truckenmiller sieht viel fern; sie ist kein
Büchermensch. Ich bezweifle sehr, dass eine solche Frau auch nur eine ungefähre
Vorstellung davon hat, wie Sie aussehen.«
John Wolf verdrehte die Augen mit
dem Rücken zu Hilma Bloch. Selbst Roberta verdrehte die Augen.
»Vielen Dank, Hilma«, sagte Garp
gelassen. Man kam überein, dass Garp Mrs. Truckenmiller besuchen sollte, »um
ihren Charakter zu bewerten«.
»Stellen Sie wenigstens ihren
Vornamen fest«, sagte Marcia Fox.
»Ich wette, sie heißt Charlie«,
sagte Roberta.
Sie kamen zu den laufenden
Angelegenheiten: Wer momentan in Dog’s Head Harbor wohnte; wessen Wohnrecht
auslief; wer demnächst einziehen würde. Und was für Probleme es sonst gab.
In dem Haus wohnten zwei
Künstlerinnen – eine in der Südmansarde, die andere in der Nordmansarde. Die
Malerin von der Südmansarde neidete der Malerin von der Nordmansarde ihr Licht, und zwei Wochen lang herrschte Krieg zwischen
ihnen; sie wechselten beim Frühstück kein Wort und beschuldigten einander wegen
verlorengegangener Briefe. Und so fort. Dann fingen sie offenbar ein Verhältnis
miteinander an. Jetzt malte nur noch die Künstlerin von der Nordmansarde –
Aktstudien der Künstlerin von der Südmansarde, die den ganzen Tag in dem guten
Licht [736] Modell saß. Ihre Nacktheit im obersten Stock des Hauses störte
mindestens eine der Schriftstellerinnen, eine ausgesprochen antilesbische
Dramatikerin aus Cleveland, die wegen des Wellenrauschens, wie sie sagte,
Schlafstörungen hatte. Wahrscheinlich war es die laute Liebe der Künstlerinnen,
die sie störte; sie wurde jedenfalls als »überspannt« eingestuft, aber ihre
Beschwerden hörten auf, sobald die andere Schriftstellerin im Haus vorschlug,
alle Gäste von Dog’s Head Harbor sollten die Rollen des Stückes, an dem die
Dramatikerin gerade arbeitete, laut lesen. Das zahlte sich für alle aus, und in
die oberen Stockwerke des Hauses zog wieder Frieden ein. Die »andere
Schriftstellerin«, eine gute Kurzgeschichtenautorin, die Garp vor einem Jahr
wärmstens empfohlen hatte, zog jedoch demnächst aus; ihre Zeit war abgelaufen.
Wer sollte ihr Zimmer bekommen?
Etwa die Frau, deren
Schwiegermutter soeben, nach dem Selbstmord ihres Mannes, das Sorgerecht für
ihre Kinder bekommen hatte?
»Ich habe euch davon abgeraten «, sagte Garp.
Die beiden Ellen-Jamesianerinnen,
die eines Tages einfach aufgekreuzt waren?
»Moment mal«, sagte Garp. »Was
soll das denn? Ellen-Jamesianerinnen? Aufgekreuzt? So geht das aber nicht.«
»Jenny hat sie immer
aufgenommen«, sagte Roberta.
»Das war früher, Roberta«, sagte Garp.
Die anderen Beiratsmitglieder
waren mehr oder weniger seiner Meinung; Ellen-Jamesianerinnen wurden nicht sehr
bewundert – sie waren nie sehr bewundert worden, und ihr Radikalismus wirkte
(mittlerweile) zunehmend überholt und pathetisch.
[737] »Es hat aber schon fast Tradition«,
sagte Roberta. Sie beschrieb zwei »alte« Ellen-Jamesianerinnen, die in
Kalifornien Schlimmes durchgemacht hatten. Vor Jahren hatten sie schon einmal
in Dog’s Head Harbor gewohnt; die Rückkehr dorthin, argumentierte Roberta, sei
für sie eine Art sentimentale Rekonvaleszenz.
»Meine Güte, Roberta«, sagte
Garp. »Schaff sie uns vom Hals.«
»Deine Mutter hat sich immer um
diese Frauen gekümmert«, sagte Roberta.
»Sie werden zumindest still sein«, sagte Marcia Fox, deren knappen Sprachstil
Garp ernsthaft bewunderte. Aber nur Garp lachte.
»Ich finde, du solltest sie
loswerden, Roberta«, sagte Dr. Joan Axe.
»Sie haben nämlich etwas gegen
dieGesellschaft insgesamt «,
sagte Hilma Bloch. »Das könnte ansteckend wirken. Andererseits verkörpern sie
geradezu den Geist des Hauses.«
John Wolf verdrehte die Augen.
»Und die Ärztin, die
krebsbedingte Abtreibungen untersucht«, sagte Joan Axe. »Was ist mit der?«
»Ja, steckt sie in den zweiten Stock«, sagte Garp. »Ich habe sie kennengelernt. Sie wird jeden das Fürchten lehren, der versucht, nach oben zu kommen.« Roberta
runzelte die
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