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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sperrfeuer der Staatspolizei von New Hampshire
und einiger anderer bewaffneter Jäger, die den Parkplatz eingekreist hatten,
ums Leben gekommen war.
    Der Verblichene, Kenny
Truckenmiller, war vor nicht ganz einem Jahr geschieden worden. Er hatte
Freunden erklärt, dass die Unterhaltszahlungen für die Kinder ihn
fertigmachten; er sagte, die Frauenbewegung habe seine Frau so aufgehetzt, dass
sie sich von ihm scheiden ließ. Der Rechtsbeistand, der die Sache zugunsten von
Mrs. Truckenmiller erledigte, war eine geschiedene New Yorkerin. Kenny
Truckenmiller hatte seine Frau fast dreizehn Jahre lang mindestens zweimal die
Woche verprügelt, und er hatte jedes seiner drei Kinder bei mehreren
Gelegenheiten körperlich und seelisch misshandelt. Aber Mrs. Truckenmiller
hatte nicht genug über sich selbst oder über ihre Rechte gewusst, bis sie Eine sexuell Verdächtige. Die Autobiographie der Jenny Fields, las. Das brachte sie auf den Gedanken, dass die Schläge, die sie allwöchentlich
bezog, und die Misshandlungen ihrer Kinder vielleicht in Wahrheit Kenny
Truckenmillers Schuld seien; dreizehn Jahre lang hatte sie geglaubt, sie seien ihr Problem und ihr »Lebenslos«.
    Kenny Truckenmiller hatte die
Frauenbewegung für die Selbstfindung seiner Frau verantwortlich gemacht. Mrs.
Truckenmiller hatte immer freiberuflich gearbeitet, als »Hair Stylistin« in der
kleinen Stadt North Mountain, New Hampshire. Sie machte als Friseurin weiter,
als Kenny per Gerichtsbeschluss gezwungen wurde, aus ihrem Haus [733]  auszuziehen.
Aber jetzt, seit Kenny keinen Lastwagen mehr für die Stadt fuhr, fiel es Mrs.
Truckenmiller schwer, ihre Familie allein mit dem Stylen von Haaren über die
Runden zu bringen. Sie schrieb in ihrem fast unleserlichen Antrag, dass sie
gezwungen gewesen sei, »Zugeständnisse zu machen«, weil sie »sonst nicht über
die Runden kam«, und dass sie ungern in Zukunft noch mehr Zugeständnisse machen
wolle.
    Mrs. Truckenmiller, die kein
einziges Mal ihren Vornamen erwähnte, sah vollkommen ein, dass ihre gar so
heftige Abscheu gegen ihren Mann den Beirat gegen sie einnehmen könnte. Sie
hätte Verständnis dafür, schrieb sie, wenn man beschloss, sie zu ignorieren.
    John Wolf, der (ob er wollte oder
nicht) Ehrenmitglied im Beirat – und ob seines finanziellen Sachverstands hoch
geschätzt – war, sagte sofort, es sei die beste und werbewirksamste Reklame,
die es für die Field Foundation geben könne, wenn man dem Antrag »dieser
unglücklichen Angehörigen von Jennys Mörder« stattgab. Es werde Schlagzeilen
machen; es werde die unpolitischen Ziele der Stiftung beweisen; es werde sich,
schloss John Wolf, insofern bezahlt machen, als es der Stiftung mit Sicherheit
Spenden ungeahnten Ausmaßes einbringen werde.
    »Wir bekommen schon genug
Spenden«, giftete Garp.
    »Und wenn sie nun eine Hure
ist?«, fragte Roberta in Gedanken an die unglückliche Mrs. Truckenmiller; die
anderen starrten sie an. Roberta war ihnen gegenüber in einer Beziehung im
Vorteil: Sie konnte wie eine Frau und wie ein
Philadelphia Eagle denken. »Überlegt doch mal«, sagte Roberta. »Wenn sie nun
ein Flittchen ist, eine, die dauernd [734]  ›Zugeständnisse macht‹, die es schon
immer getan hat – und sich nichts dabei denkt? Dann wird man uns plötzlich auslachen; dann sind wir die Dummen.«
    »Wir brauchen also ein Charaktergutachten«,
sagte Marcia Fox.
    »Jemand muss die Frau besuchen,
mit ihr reden«, schlug Garp vor. »Feststellen, ob sie anständig ist, ob sie wirklich versucht, sich allein durchzuschlagen.«
    Die anderen starrten ihn an.
    »Na ja«, sagte Roberta,» ich werde nicht herausfinden,
ob sie eine Hure ist oder nicht.«
    »O nein«, sagte Garp. » Ich auch nicht.«
    »Wo ist eigentlich North
Mountain, New Hampshire?«, fragte Marcia Fox.
    » Ich auch nicht«, sagte John Wolf. »Ich bin sowieso schon viel zu viel auf Achse.«
    »O Mann«, sagte Garp. »Wenn sie
mich nun erkennt? Wie ihr wisst, kommt das vor. «
    »Ich bezweifle, dass sie Sie erkennen wird«, sagte Hilma Bloch, eine
psychiatrisch ausgebildete Sozialarbeiterin, die Garp verabscheute. »Die Leute
mit der größten Motivation, Autobiographien zu lesen wie das Buch Ihrer Mutter,
lesen nur selten Belletristik – und wenn, dann nur quer. Das heißt, falls sie Bensenhaver und wie er die Welt sah gelesen hat, dann nur,
weil Sie der Sohn Ihrer Mutter sind. Und das wäre nicht Grund genug gewesen, um
das Buch zu Ende zu lesen; aller Wahrscheinlichkeit nach – und in

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