Garp und wie er die Welt sah
Verräter seiner Mutter! Der mit einem schmutzigen Grinsen Kapital
aus der Politik der Frauenbewegung schlug! In den einzelnen Briefen wurde Garps
Beziehung zu Ellen James als »schmutzig«, »schleimig« und »klammheimlich«
bezeichnet.
Es tut
mir leid!,
[762] schrieb Ellen.
»Schon gut, schon gut. Es ist
nicht deine Schuld.«
Ich binkeine Antifeministin!
»Natürlich nicht«,
versicherte ihr Garp.
Sie
betreiben eine solche Schwarzweißmalerei.
»Aber sicher«, sagte Garp.
Deshalb
hasse ich sie. Sie zwingen einen zur Anpassung – wenn man nicht ihr Feind sein
will.
»Ja, ja«, sagte Garp.
Ich
wünschte, ich könnte reden.
Und dann schwamm sie in
Tränen, heulte an seiner Schulter, und ihr wortloses, zorniges Keuchen
schreckte Helen aus dem weit entfernten Lesezimmer des großen Hauses, trieb Duncan
aus der Dunkelkammer und weckte die kleine Jenny aus ihrem Mittagsschlaf.
So beschloss Garp törichterweise,
sich mit ihnen anzulegen, mit diesen erwachsenen Verrückten, diesen
inbrünstigen Fanatikerinnen, die – selbst wenn ihr erwähltes Symbol sie ablehnte – darauf bestanden, mehr über Ellen James zu wissen als Ellen James selbst.
»Ellen James ist kein Symbol«, schrieb Garp. »Sie ist ein
Vergewaltigungsopfer, das vergewaltigt und verstümmelt [763] wurde, ehe es alt
genug war, sich eine eigene Meinung über Sexualität und Männer zu bilden.« So
fing er an – und so ging es munter weiter. Und man veröffentlichte es natürlich – wie man jedes Öl in jedes Feuer gießt. Außerdem war es seit dem berühmten
Roman Bensenhaver und wie er die Welt sah der erste
Text von Garp, der überhaupt veröffentlicht wurde.
Oder vielmehr der zweite. In
einer kleinen Zeitschrift hatte Garp kurz nach Jennys Tod sein erstes und
einziges Gedicht veröffentlicht. Es war ein sonderbares Gedicht; es handelte
von Kondomen.
Garp fand, sein Leben sei von
Kondomen – dem Mittel des Mannes, sich und anderen die Konsequenzen seiner Lust
zu ersparen – ruiniert worden. Unser Leben lang, fand Garp, werden wir von
Kondomen verfolgt – Kondome frühmorgens auf dem Parkplatz, Kondome, die von
spielenden Kindern am Strand entdeckt werden, Kondome, die als Botschaften
benutzt werden (zum Beispiel an seine Mutter, über den Türknauf ihrer winzigen
Seitenflügelwohnung im Nebengebäude der Krankenstation gezogen). Kondome, die
in den Schlafsaaltoiletten der Steering School hinuntergespült wurden. Kondome,
die glitschig und frech in öffentlichen Pissoirs lagen. Einmal ein Kondom, das
mit der Sonntagszeitung kam. Einmal ein Kondom im Briefkasten am Ende der
Einfahrt. Und einmal ein Kondom auf dem Schalthebel des Volvos; irgendjemand
hatte das Auto über Nacht benutzt, aber nicht zum Fahren.
Kondome fand Garp, wie Ameisen
Zucker fanden. Er reiste meilenweit, er wechselte die Kontinente, und da – im
Bidet des sonst makellos sauberen, aber fremden [764] Hotelzimmers… da – auf dem
Rücksitz des Taxis, wie das herausgenommene Auge eines großen Fisches… da – ihn
von der Schuhsohle anglotzend, mit der er es irgendwo aufgelesen hatte. Von überall her kamen Kondome zu ihm und bereiteten ihm böse
Überraschungen.
Kondome und Garp – eine lange
gemeinsame Geschichte. Sie waren irgendwie von Anfang an miteinander verkoppelt
worden. Wie oft erinnerte er sich an seinen ersten Kondomschock, die Kondome im
Kanonenrohr!
Es war ein ganz ordentliches
Gedicht, aber fast niemand las es, weil es vulgär war. Weit mehr Leute lasen
seinen Essay über Ellen James gegen die Ellen-Jamesianerinnen. Das war ein
Ereignis; es war Tagesgeschehen. Leider, das wusste Garp, ist so etwas
interessanter als Kunst.
Helen flehte ihn an, sich nicht
ködern zu lassen, sich nicht hineinziehen zu lassen. Selbst Ellen James
erklärte ihm, es sei ihr Kampf; sie bat ihn nicht um
seinen Beistand.
»Du pfuschst weiter im Garten
rum«, warnte Helen. »Noch mehr Bücherregale.«
Aber er schrieb zornig und gut;
er sagte nachdrücklicher, was Ellen James gemeint hatte. Er sprach mit großer
Beredsamkeit für jene ernsthaften Frauen, die stellvertretend unter der
»radikalen Selbstverstümmelung« der Ellen-Jamesianerinnen litten – »unter der
Sorte Blödsinn, der den Feminismus in Verruf bringt«. Er konnte der Versuchung
nicht widerstehen, sie fertigzumachen, und obwohl er es gut machte, fragte
Helen mit Recht: »Für wen ? Welcher ernsthafte Mensch wüsste nicht schon, dass die Ellen-Jamesianerinnen
verrückt sind? Nein, Garp, du hast esfür sie
Weitere Kostenlose Bücher