Garp und wie er die Welt sah
gleichzeitig intelligent genug, um
aus seinen Kritiken an den Ellen-Jamesianerinnen, die eher lautstark als
logisch waren, eine gewisse persönliche Rachsucht herauszuhören. Sie spürten
eine Art Killerinstinkt in ihm – von Grund auf männlich und von Grund auf
intolerant. Er war, wie Helen gesagt [768] hatte, zu intolerant gegenüber den
Intoleranten. Die meisten Frauen fanden sicher, Garp habe die Wahrheit über die
Ellen-Jamesianerinnen geschrieben, aber war es nötig, so grob zu sein? Um es in
seiner Ringerterminologie zu sagen: Garp hatte sich vielleicht unsportliches
Verhalten – unzulässige Griffe – zuschulden kommen lassen. Seine Grobheit
machte viele Frauen misstrauisch, und wenn er jetzt las, selbst vor einer
gemischten Hörerschaft – vor allem in Colleges, wo Grobheit gerade aus der Mode
zu sein schien –, merkte er, wie er auf stumme Ablehnung stieß. Er war ein
Mann, der öffentlich die Beherrschung verloren hatte; er hatte sich anmerken
lassen, dass er grausam sein konnte.
Und Roberta hatte ihm geraten,
keine Sexszene zu lesen; nicht dass die Stipendiatinnen besonders feindselig
wären, aber sie sahen sich vor , sagte Roberta. »Du
hast eine Menge anderer Szenen vorzulesen«, sagte Roberta, »außer Sex.« Keiner
von beiden erwähnte die Möglichkeit, dass er vielleicht etwas Neues zu lesen hätte. Vor allem aus diesem Grund – weil er
nichts Neues zu lesen hatte – verlor Garp immer mehr die Lust, überhaupt noch
irgendwo zu lesen.
Garp lief über die sanft
geschwungene Anhöhe bei einer Farm mit schwarzen Angus-Rindern – der einzige
Hügel zwischen Steering und dem Meer – und passierte die Dreikilometermarke
seiner Strecke. Er sah die blauschwarzen Mäuler der Tiere, die wie
doppelläufige Flinten über einer niedrigen Steinmauer auf ihn zeigten. Garp
redete immer mit den Rindern; er muhte ihnen zu.
Der schmutzig weiße Saab kam ihm
jetzt entgegen, und Garp wich auf den staubigen, unbefestigten Seitenstreifen
aus. Ein schwarzes Angus-Rind muhte zurück; zwei [769] flüchteten von der
Steinmauer. Garp hatte sie im Blick. Der Saab fuhr nicht sehr schnell –
offenbar kein Raser am Steuer. Es schien keinen Grund zu geben, ihn im Blick zu
behalten.
Einzig und allein sein Gedächtnis
rettete ihn. Schriftsteller haben ein sehr selektives Gedächtnis, und zu seinem
Glück hatte er sich ausgerechnet gemerkt, wie der schmutzig weiße Saab
langsamer geworden war – als er ihn überholt hatte, in der Gegenrichtung – und
der Kopf der Fahrerin ihn im Rückspiegel ins Visier zu nehmen schien.
Garp wandte den Blick von den
Angus-Rindern und sah den leisen Saab, der mit abgestelltem Motor auf dem
unbefestigten Seitenstreifen genau auf ihn zusauste und hinter seinen lautlosen
weißen Konturen und über dem gespannten, eingezogenen Kopf der Fahrerin eine
Staubfahne aufwirbelte. Die Fahrerin, die den Saab auf Garp zusteuerte, war die
genaueste bildliche Vorstellung, die Garp jemals davon haben würde, wie ein
unterer Turmschütze bei der Arbeit aussah.
Garp machte zwei Sätze zu der
Steinmauer hin und hechtete darüber hinweg, ohne den elektrischen Draht über
der Mauer zu sehen. Er spürte das Kitzeln am Oberschenkel, als er den Draht
streifte, überwand aber den Draht und die Mauer und landete in den nassen
grünen Grasstoppeln der Wiese, die von der Angus-Herde abgekaut und gesprenkelt
worden war.
Er lag da und umarmte den nassen
Boden, hörte das heisere Gurgeln des übelschmeckenden Sogs in seiner trockenen
Kehle – und das Donnern von Hufen, als die Angus-Rinder von ihm fortjagten. Er
hörte das felsig-metallene Zusammentreffen des schmutzig weißen Saabs mit der [770] Steinmauer.
Zwei Felsbrocken, so groß wie sein Kopf, kullerten träge neben ihm ins Gras.
Ein glutäugiger Angus-Stier wich nicht vom Fleck, aber die Hupe des Saabs
klemmte; vielleicht hielt das ununterbrochene Quäken den Stier vom Angriff ab.
Garp wusste, dass er lebte; das
Blut in seinem Mund kam nur daher, dass er sich auf die Lippe gebissen hatte.
Er ging an der Mauer entlang zur Stelle des Aufpralls, wo der zertrümmerte Saab
im Sande steckte. Die Fahrerin hatte mehr als ihre Zunge verloren.
Sie war in den Vierzigern. Der
Motor des Saabs hatte ihre Knie nach oben getrieben, um die zusammengedrückte
Steuersäule herum. Sie hatte keine Ringe an den Händen, die kurzfingrig und von
dem harten Winter oder den harten Wintern, die sie durchgemacht hatte, gerötet
waren. Der Türrahmen auf der Fahrerseite des
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