Garp und wie er die Welt sah
auf der Hut. Garp
war ein Spielkamerad der Percy-Kinder, die Garp jedoch nicht im Nebengebäude
der Krankenstation besuchen durften. »Unser Haus ist einfach besser für
Kinder«, sagte Midge einmal am Telefon zu Jenny. »Ich meine –« sie lachte –
»ich glaube nicht, dass sie sich hier etwas holen können.«
Höchstens ein bisschen Dummheit,
dachte Jenny, aber sie sagte nur: »Ich weiß, wer ansteckend ist und wer nicht.
Und auf dem Dach spielt niemand.«
Zugegeben, Jenny wusste, dass das
Haus der Percys, das ehemalige Haus der Familie Steering, ein Paradies für
Kinder war. Es war mit Teppichen ausgelegt und geräumig und voll mit
Generationen geschmackvoller Spielsachen. Es war reich. Und da es von
Dienstboten in Ordnung gehalten wurde, war es auch zwanglos. Jenny hasste die
Zwanglosigkeit, die sich die Percys leisten konnten. Jenny fand, dass weder
Midge noch Stewie die Intelligenz hatten, sich so viel Sorgen um ihre Kinder zu
machen, wie sie sich hätten machen sollen. Außerdem hatten sie so viele Kinder. Wenn man eine Menge Kinder hat, überlegte Jenny, hat man vielleicht nicht mehr so viel Angst um
jedes einzelne?
Jenny machte sich nämlich Sorgen
um ihren Garp, wenn er weg war und mit den Kindern der Percys spielte. Jenny
war auch in einem Oberschichthaushalt aufgewachsen, und sie wusste genau, dass
Oberschichtkinder nicht wie durch Zauber vor Gefahren geschützt waren, nur weil
sie irgendwie sicherer, mit einem robusteren Stoffwechsel und [86] zauberkräftigen
Genen zur Welt gekommen waren. In der Umgebung der Steering School gab es
jedoch viele, die das offenbar glaubten – weil es auf den ersten Blick zu
stimmen schien. Es war etwas Besonderes an den aristokratischen
Kindern dieser Familien: Ihre Haare schienen immer zu sitzen, sie hatten nie
Pickel. Vielleicht wirkten sie so entspannt, weil es nichts gab, was sie haben
wollten, dachte Jenny. Aber dann fragte sie sich, wie sie selber es geschafft
hatte, anders zu sein.
In Wahrheit beruhte ihre Sorge um
Garp auf genauen Beobachtungen, die sie bei den Percys gemacht hatte. Die
Kinder liefen unbeaufsichtigt herum, als ob ihre eigene Mutter auch glaubte,
sie hätten Zauberkräfte. Die fast albinohaften Percy-Kinder mit ihrer fast
durchsichtigen Haut wirkten tatsächlich magischer und jedenfalls gesünder als
andere Kinder. Und obwohl sich fast alle Lehrerfamilien über Fat Stew einig
waren, fand man, dass die Percy-Kinder und sogar Midge eindeutig »Klasse«
besaßen. Starke, schützende Gene seien da am Werk, meinte man.
»Meine Mutter«, schrieb Garp,
»war im Kriegszustand mit Leuten, die Gene so ernst
nahmen.«
Und eines Tages sah Jenny
ihren kleinen dunklen Garp über den Rasen vor der Krankenstation zu den
eleganteren Lehrerhäusern hinüberlaufen, die weiß waren und grüne Fensterläden
hatten und in deren Mitte das Haus der Percys thronte wie die älteste Kirche in
einer Stadt voller Kirchen. Jenny sah die Meute von Kindern über die
abgezirkelten Fußwege der Schule rennen – allen voran der behende Garp. Eine
Reihe tolpatschiger, schwerfälliger Percys [87] verfolgte ihn – und die anderen
Kinder, die sich dem Rudel angeschlossen hatten.
Da war Clarence DuGard, dessen
Vater Französisch unterrichtete und roch, als ob er sich nie waschen würde; er
machte den ganzen Winter über nie das Fenster auf. Da war Talbot Mayer-Jones,
dessen Vater mehr über die gesamte amerikanische Geschichte wusste als Stewart
Percy über seinen kleinen Teil vom Pazifik. Da war Emily Hamilton, die acht Brüder
hatte und ein Jahr, bevor an der Steering School die Entscheidung fiel, Mädchen
zuzulassen, an einer mittelmäßigen reinen Mädchenschule ihre Abschlussprüfung
machen sollte; ihre Mutter sollte – nicht unbedingt infolge dieser
Entscheidung, aber gleichzeitig mit ihrer Bekanntgabe – Selbstmord begehen (was
Stewart Percy zu der Bemerkung veranlasste, genau das werde kommen, wenn man
Mädchen zulasse: weitere Selbstmorde). Und da waren die Brüder Grove, Ira und
Buddy, »aus dem Ort«; ihr Vater gehörte zur Hausmeistertruppe der Schule, und
es war eine heikle Frage, ob man die beiden überhaupt zum Besuch der Steering
School ermuntern sollte und welche Leistungen von ihnen zu erwarten waren.
Jenny sah die Kinder über die
frischgeteerten Wege zwischen den leuchtend grünen Rasenvierecken laufen; die
ausgewaschenen und aufgeweichten Backsteingebäude drum herum sahen fast wie
rosa Marmor aus. Wie sie zu ihrem Kummer feststellen musste, lief
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