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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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erklärte Bodger dem bebenden Jüngling.
    »Aber das weiß ich nicht mit
Sicherheit, Sir«, sagte der Wachmann. »Man hat mir gesagt, dass ich niemanden
auf den Fußwegen fahren lassen darf.«
    »Man hätte Ihnen besser gesagt,
dass Sie sich nicht mit Rektor Bodger anlegen sollen!«, sagte Bodger.
    »Das hat man mir auch gesagt,
Sir«, sagte der Wachmann, »aber ich weiß nicht, dass
Sie Rektor Bodger sind.«
    »Also gut«, sagte Bodger, dem das
humorlose Pflichtbewusstsein des Wachmanns insgeheim sehr gefiel, »ich kann
zweifelsfrei beweisen, wer ich bin.« Dann fiel Rektor Bodger ein, dass sein
Führerschein abgelaufen war, und er beschloss, dem Wachmann stattdessen seinen
Fahrzeugschein zu zeigen. Als Bodger das Handschuhfach öffnete, lag die
verstorbene Taube darin.
    [80]  Meckler hatte wieder
zugeschlagen; und wieder gab es keinen Beweis. Die Taube war nicht übermäßig
verwest, und sie wand sich (noch) nicht vor Maden, aber in Rektor Bodgers
Handschuhfach wimmelte es von Läusen. Die Taube war so tot, dass die Läuse sich
nach einem neuen Zuhause umsahen. Der Rektor zog seinen Fahrzeugschein so
schnell wie möglich heraus, aber der junge Wachmann konnte die Augen nicht von
der Taube abwenden.
    »Man hat mir erzählt, dass die
hier ein echtes Problem sind«, sagte der Wachmann. »Man hat mir erzählt, dass
sie überall reinkommen.«
    »Die Jungs kommen überall rein!«,
polterte Bodger. »Die Tauben sind vergleichsweise harmlos, aber auf die Jungs
muss man aufpassen.«
    Eine Zeitlang – unfair lange,
fand Garp – passte Jenny sehr genau auf ihn auf. Sie
hatte eigentlich immer gut auf ihn aufgepasst, aber sie hatte auch
festgestellt, dass man sich auf ihn verlassen konnte. Jetzt musste Garp ihr
beweisen, dass man sich wieder auf ihn verlassen konnte.
    In einer so kleinen Gemeinschaft
wie der Steering School machen Neuigkeiten schneller die Runde als
Tausendfüßler. Die Geschichte, dass der kleine Garp auf das Dach vom
Nebengebäude der Krankenstation geklettert war und dass seine Mutter nicht
gewusst hatte, wo er steckte, machte sie beide verdächtig – Garp als Jungen,
der einen schlechten Einfluss auf andere Jungen ausüben konnte, und Jenny als
Mutter, die sich nicht richtig um ihren Sohn kümmerte. Natürlich bemerkte Garp
die Diskriminierung zunächst nicht, aber Jenny, die jede Diskriminierung
schnell erkannte (und sie auch schnell voraussah), hatte wieder [81]  einmal das
Gefühl, dass die Leute gemeine Unterstellungen machten. Ihr Fünfjähriger war
ausgebüxt und aufs Dach geklettert? Also kümmerte sie sich nie richtig um ihn!
Also war er eindeutig ein merkwürdiges Kind.
    Ein vaterloser Junge, sagten
manche, der nichts als gefährliche Streiche im Sinn hat.
    »Es ist merkwürdig«, schrieb
Garp, »dass die Familie, die mich von meiner
Einzigartigkeit überzeugte, dem Herzen meiner Mutter nie nahestand. Mutter war
praktisch, sie glaubte an Beweise und an Resultate. Sie glaubte zum Beispiel an
Bodger, denn was ein Rektor machte, war zumindest konkret. Sie glaubte an
handfeste Berufe: Geschichtslehrer, Ringertrainer – und Krankenschwestern
natürlich. Aber für die Familie, die mich von meiner Einzigartigkeit
überzeugte, hatte meine Mutter keinen Respekt. Mutter war der Meinung, dass die
Percys Nichtstuer waren.«
    Jenny Fields war mit diesem
Glauben nicht allein. Stewart Percy hatte einen Titel, aber keinen richtigen
Beruf. Er war der sogenannte Sekretär der Steering School, aber kein Mensch
hatte ihn je tippen sehen. Er hatte sogar seine eigene Sekretärin, aber kein
Mensch hatte eine Ahnung, was sie zu tippen haben
mochte. Eine Zeitlang schien Stewart Percy irgendeine Verbindung mit der
Steering Alumni Association zu haben, einem Verein ehemaliger Steering-Schüler,
die so einflussreich vor lauter Wohlstand und so sentimental vor lauter
Nostalgie waren, dass sie bei der Schulverwaltung hohes Ansehen genossen. Aber
der Geschäftsführer des Vereins behauptete, Stewart Percy sei bei den jüngeren
Alumni zu unbeliebt, als dass er von irgend [82] einem Nutzen sein könne. Die
jüngeren Alumni kannten Percy noch aus ihren Schülertagen.
    Stewart Percy war nicht beliebt
bei den Schülern, die ebenfalls den Verdacht hatten, dass Percy nichts tat.
    Er war ein großer, rosiger Mann
mit der Sorte falscher Heldenbrust, die sich jeden Moment als dicker Bauch
entpuppen kann – jener tapfer herausgedrückten Brust, die unversehens
zusammenfallen und das Tweedsakko, in dem sie steckt, sprengen kann, so

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