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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wirklich begann.
    »In dieser Welt mit ihrer
schmutzigen Phantasie«, schrieb Jenny, »ist man entweder jemandes Frau oder
jemandes Hure – oder auf dem besten Weg, das eine oder das andere zu werden.«
Der Satz gab dem Buch einen Ton, der ihm bisher gefehlt hatte. Jenny entdeckte,
dass ihre Autobiographie, wenn sie sie mit diesem Satz begann, eine Aura
erhielt, die die nicht zusammenpassenden Teile ihrer Lebensgeschichte plötzlich
verband – so wie Nebel eine ungleichmäßige Landschaft einhüllt, so wie Hitze in
einem weitläufigen Haus bis ins hinterste Zimmer dringt. Dieser Satz
inspirierte andere, ähnliche Sätze, und Jenny verwob sie, wie sie einen hellen,
alles verbindenden Faden von [222]  leuchtender Farbe durch eine wuchernde
Tapisserie ohne erkennbares Muster hätte weben können.
    »Ich wollte arbeiten, und ich
wollte allein leben«, schrieb sie. »Das machte mich zu einer sexuell
Verdächtigen.« Und das verhalf ihr auch zu einem Titel: Eine
sexuell Verdächtige. Die Autobiographie von Jenny Fields. Das Buch
sollte acht Auflagen erleben und in sechs Sprachen übersetzt werden, noch ehe
die Taschenbuchausgabe auf den Markt kam, die allein so viel einbrachte, dass
Jenny sich und ein ganzes Regiment von Krankenschwestern ein Jahrhundert lang
mit neuen Schwesterntrachten hätte versorgen können.
    »Dann wollte ich ein Kind haben,
aber ich wollte deswegen weder meinen Körper noch mein Leben mit jemandem
teilen«, schrieb Jenny. »Auch das machte mich zu einer sexuell Verdächtigen.«
So hatte Jenny den Faden gefunden, mit dem sie ihr unordentliches Buch
zusammennähen konnte.
    Doch als es Frühling in Wien
wurde, hatte Garp Lust auf eine Reise – etwa nach Italien; vielleicht könnten
sie ja einen Wagen mieten.
    »Kannst du denn Auto fahren?«,
fragte ihn Jenny. Sie wusste ganz genau, dass er es nie gelernt hatte; es war
nie nötig gewesen. »Na ja, ich kann es auch nicht«, erklärte sie ihm. »Und außerdem
habe ich zu tun. Ich kann jetzt meine Arbeit nicht unterbrechen. Wenn du
verreisen willst, musst du allein verreisen.«
    Im American-Express-Büro, wohin
Jenny und Garp sich ihre Post schicken ließen, lernte Garp seine ersten
reisenden jungen Amerikaner kennen. Zwei Mädchen, die auf der Dibbs School
gewesen waren, und einen Jungen namens [223]  Boo, der nach Bath gegangen war. »He,
wie wär’s mit uns?«, sagte eines der Mädchen zu Garp, nachdem sie sich
kennengelernt hatten. »Wir sind alle Internatsprodukte.«
    Sie hieß Flossie, und Garp hatte
den Eindruck, dass sie ein Verhältnis mit Boo hatte. Das andere Mädchen,
Vivian, klemmte unter dem kleinen Kaffeehaustischchen am Schwarzenbergplatz
Garps Knie fest zwischen die ihren und sabberte, während sie ihren Wein trank.
»Ich bin gerade beim Den tischten gewesen«, erklärte
sie ihm, »und hab so viel Novocain in meinem gottverdammten Mund, dass ich
nicht weiß, ob er offen oder zu ist.«
    »Wie man’s nimmt«, sagte Garp zu
ihr. Aber er dachte: Scheiße, ist mir doch egal! Cushie Percy fehlte ihm, und
seine Beziehungen zu Prostituierten vermittelten ihm allmählich das Gefühl, ein sexuell Verdächtiger zu sein. Charlotte, das war ihm
inzwischen klar, wollte ihn hauptsächlich bemuttern; und obwohl er versuchte,
ihre Beziehung anderweitig zu befördern, musste er sich letztlich damit
abfinden, dass diese andere Ebene nie über das Geschäftliche hinausgehen würde.
    Flossie und Vivian und Boo
wollten alle nach Griechenland, aber sie ließen sich drei Tage lang von Garp
Wien zeigen. In dieser Zeit schlief Garp zweimal mit Vivian, deren Novocain
sich endlich verflüchtigte; er schlief auch einmal mit Flossie, als Boo in der
Stadt war, um Reiseschecks einzulösen und an ihrem Wagen einen Ölwechsel
vornehmen zu lassen. Jungen von Steering und von Bath hatten nun einmal nichts
füreinander übrig, das wusste Garp; aber Boo war derjenige, der zuletzt lachte…
    Es ist nicht zu klären, ob Garp
sich seine Gonorrhö von [224]  Vivian oder von Flossie holte, aber Garp war
überzeugt, dass Boo die Quelle des Übels war. Garp zufolge war es ein typischer
»Bath-Tripper«. Als die ersten Symptome auftraten, war das Trio allerdings
längst nach Griechenland abgedampft, und Garp musste sich mit dem Tröpfeln und
Brennen allein herumschlagen. In ganz Europa konnte man sich keinen schlimmeren
Tripper holen, dachte er. »Ich hab mir von Boo die Gono geholt«, schrieb er –
aber erst sehr viel später. Als es passierte, war es gar nicht lustig, und

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