Garp und wie er die Welt sah
Er lachte.
»Ich bin Schriftsteller«, teilte
Garp ihm mit.
Der Polizist entschuldigte sich
dafür, dass er noch nichts [287] von Garp gehört habe, aber Garp hatte bis dahin
abgesehen von der Pension Grillparzer noch nichts
veröffentlicht. Es gab also kaum etwas, was der Polizist gelesen haben könnte.
Dieser Tatbestand verwirrte den Polizisten.
»Ein unveröffentlichter
Schriftsteller?«, fragte er zu Garps nicht gelinder Entrüstung. »Wovon leben
Sie denn?«, fragte der Polizist.
»Von meiner Frau und von meiner
Mutter«, bekannte Garp.
»Na, dann muss ich Sie fragen,
was die beiden machen«, sagte der Polizist. »Wir
müssen zu Protokoll nehmen, wovon die Beteiligten leben.«
Der belästigte Herr mit dem
weißen Schnurrbart, der nur die letzten Worte dieses Verhörs aufgeschnappt
hatte, sagte: »Das hätte ich mir denken können! Ein Tagedieb, ein widerlicher
Schmarotzer!«
Der Polizist starrte ihn an. In
seinen frühen, unveröffentlichten Jahren wurde Garp jedes Mal wütend, wenn er
erklären musste, wie er über die Runden kam; in diesem Augenblick wollte er
lieber Verwirrung stiften als die Sache aufklären.
»Auf jeden Fall bin ich froh,
dass Sie ihn erwischt haben«, sagte der alte Herr. »Früher war dies ein schöner
Park, aber neuerdings treiben sich Leute darin herum – Sie sollten besser
aufpassen«, sagte er zu dem Polizisten, der annahm, dass der alte Herr den
Kinderschänder meinte. Der Polizist wollte die Sache nicht in Gegenwart des
kleinen Mädchens besprechen, das steif im Sattel saß, und versuchte, dem alten
Herrn mit Blicken klarzumachen, dass er jetzt schweigen solle.
[288] »O nein, mit der Kleinen hat er es nicht gemacht!«, rief der Mann, als habe
er sie gerade erst auf dem Pferd bemerkt oder als habe er gerade erst bemerkt,
dass sie unter dem Mantel des Polizisten nackt war und ihre Kleidungsstücke auf
dem Schoß hielt. »Wie schändlich!«, rief er mit einem wütenden Blick auf Garp.
»Wie abstoßend! Sie wollen natürlich wissen, wie ich heiße?«, fragte er den
Polizisten.
»Wozu?«, sagte der Polizist. Garp
musste lächeln.
»Sehen Sie bloß dieses schmutzige
Grinsen!«, rief der alte Herr. »Falls Sie mich als Zeugen brauchen, kein Problem, jederzeit – ich würde vor jedem Gericht des Landes
aussagen, wenn ich damit einen solchen Dreckskerl wie den da hinter Gitter
bringen könnte!«
»Aber was haben Sie denn
auszusagen?«, sagte der Polizist.
»Wieso, er hat es… er hat die
Sache… auch bei mir gemacht!«, sagte der Mann.
Der Polizist sah Garp an; Garp
verdrehte die Augen. Der Polizist glaubte verständlicherweise immer noch, dass
der alte Herr den Kinderschänder meinte, aber er verstand nicht, warum Garp so
beschimpft wurde. »Also gut«, sagte der Polizist, um dem alten Mann den
Gefallen zu tun, und notierte dessen Namen und Adresse.
Monate später, als Garp gerade eine Dreierpackung Gummis kaufte, betrat ebenjener alte
Herr den Drugstore.
»Was?! Sie sind es!«, rief der alte Mann. »Hat man Sie denn schon wieder freigelassen? Ich
dachte, Sie kämen für Jahre hinter Gitter!«
Garp brauchte einen Augenblick,
bis er ihn wiedererkannte. Der Ladeninhaber hielt den alten Mann mit dem [289] gepflegten
weißen Schnurrbart für einen verrückten alten Kauz, als dieser jetzt vorsichtig
auf Garp zuging.
»Was ist bloß aus unseren
Gesetzen geworden?«, fragte er. »Hat man Sie wegen guter Führung vorzeitig
entlassen? Im Gefängnis gibt es vermutlich keine alten Männer oder kleinen Mädchen
zum Beschnüffeln ! Oder hat Sie irgendein
Winkeladvokat mit einem faulen Trick rausgeholt? Die arme Kleine hat ein Trauma
fürs Leben, und Sie laufen frei herum und können die Parks erneut unsicher
machen!«
»Sie irren sich«, sagte Garp zu
ihm.
»Ja, das ist Mr. Garp«, sagte der
Ladeninhaber. Er fügte nicht hinzu »der
Schriftsteller«. Wenn er einen Zusatz gewagt hätte, dann vermutlich etwas wie
»Mr. Garp, der Held«, denn er hatte die idiotischen Zeitungsschlagzeilen über
das Verbrechen und die Festnahme im Park gelesen:
ERFOLGLOSER
SCHRIFTSTELLER
ALS HELD ERFOLGREICH!
BÜRGER STELLT PERVERSLING IM PARK;
SOHN EINER BERÜHMTEN FEMINISTIN
HILFT KLEINEM MÄDCHEN …
Garp hatte deswegen
monatelang nicht mehr schreiben können, aber der Bericht beeindruckte all diejenigen
im Ort, die Garp nur vom Supermarkt, von der Turnhalle oder vom Drugstore
kannten. Inzwischen war Zaudern erschienen, was aber
fast niemand zur Kenntnis nahm. Wochenlang stellten ihn die
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