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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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einbildete, er sei ausdauernder,
wenn nicht schneller als jedes Pferd.
    »He, Sie warten besser hier!«,
rief der Polizist hinter ihm her, aber Garp war bereits auf Touren und dachte
nicht daran, stehen zu bleiben.
    Er brauchte nur den Hufabdrücken
zu folgen. Nach wenigen hundert Metern entdeckte er die gebückte Gestalt eines
Mannes, der unweit vom Treidelpfad zwischen den Bäumen stand und von ihnen fast
verdeckt wurde. Garp rief zu ihm hinüber. Es war ein älterer Herr mit weißem
Schnurrbart, und er sah Garp über die Schulter hinweg so überrascht und
beschämt an, dass Garp überzeugt war, den Kinderschänder gefunden zu haben.
Dieser stürmte durch die Ranken und die kleinen peitschenähnlichen Bäume auf
den Mann zu, der gerade gepinkelt hatte und nun hastig sein Glied in der Hose
verstaute. Er sah aus, als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden.
    »Ich habe doch nur…«, begann der
Mann, aber Garp stürzte sich auf ihn und stieß ihm seinen borstigen, [282]  gestutzten
Bart ins Gesicht. Er beschnüffelte den Alten wie ein Jagdhund.
    »Wenn Sie es waren, Sie
Dreckskerl, dann kann ich es riechen «, sagte Garp.
Der Mann zuckte vor dem halbnackten Untier zurück, aber Garp packte die
Handgelenke des Mannes und zerrte die Hände des Mannes mit einem Ruck unter
seine Nase. Er schnüffelte wieder. Der Mann schrie auf, als fürchtete er, Garp
wolle ihn beißen. »Halten Sie still!«, sagte Garp. »Haben Sie es getan? Wo sind
die Sachen des Mädchens?«
    »Bitte!«, fiepte der Mann. »Ich
musste nur mal.« Er hatte nicht die Zeit gehabt, seine Hose wieder zuzumachen,
und Garp warf einen misstrauischen Blick auf seinen Schlitz.
    »Kein Geruch gleicht dem von
Sex«, schrieb Garp. »Er ist unverwechselbar. Er ist so herb und unverkennbar
wie der Geruch von verschüttetem Bier.«
    Damit ließ sich Garp mitten im
Wald auf die Knie nieder, löste den Gürtel des Mannes, knöpfte ihm die Hose auf
und zerrte ihm die Unterhose bis zu den Knöcheln herunter; er starrte auf den
zusammengeschnurrten Penis des Mannes.
    »Hilfe!«, schrie der alte Herr.
Garp schnüffelte tief ein, und der Mann schwankte zwischen den jungen Bäumen
wie eine an den Armen aufgehängte Marionette und taumelte dann in ein Dickicht
aus schlanken Stämmen und Zweigen, das allerdings dicht genug war, um ihn am
Fallen zu hindern. »Lieber Gott, hilf!«, rief er,
aber Garp lief bereits zu dem Reitweg zurück – seine Beine droschen durch das
Laub, seine Arme prügelten die Luft, und sein verletztes Schlüsselbein pochte.
    Vor dem Parkeingang klapperten
die Hufe des [283]  Polizeipferdes über den Parkplatz, der Polizist spähte in
geparkte Autos und umkreiste das niedrige Backsteinhäuschen mit den Toiletten.
Einige Leute beobachteten ihn neugierig. »Von Schnurrbärten keine Spur«, rief
er Garp zu.
    »Wenn er vor Ihnen hier war, ist
er jetzt bereits über alle Berge«, sagte Garp.
    »Sehen Sie in der Männertoilette
nach«, sagte der Polizist und ritt auf eine Frau mit einem Kinderwagen voller
Decken zu.
    Die Männertoiletten erinnerten
Garp immer an die WC s in Wien; in der Tür zu dem beißend
riechenden Ort kam Garp ein junger Mann entgegen, der gerade hinausging. Er war
glatt rasiert – über der Oberlippe so glatt, das die Partie beinahe glänzte. Er
sah aus wie ein Collegejunge. Garp betrat die Männertoilette wie ein Hund mit
gesträubten Haaren. Er spähte unter den Klotüren hindurch nach Füßen; er wäre
nicht überrascht gewesen, wenn er zwei Hände – oder gar Bärentatzen entdeckt
hätte. Er schaute auf die ihm zugewandten Rücken an dem langen Pissoir – und er
sah nach, ob vielleicht jemand an einem der schmutzigen braunen Waschbecken
stand und in einen der fleckigen Spiegel darüber starrte. Aber in der
Männertoilette war niemand. Garp schnüffelte. Er trug schon länger einen
gestutzten Vollbart und erkannte den Geruch von Rasiercreme nicht sogleich. Er
wusste nur, dass er etwas roch, was nicht zu diesem dumpfen Ort gehörte. Dann
blickte er in das nächste Waschbecken, sah die Schaumklümpchen darin und die
Barthaare am Beckenrand.
    Der glattrasierte junge Mann, der
wie ein Collegejunge aussah, überquerte gerade mit zügigen, aber ruhigen [284]  Schritten
den Parkplatz, als Garp zur Tür der Männertoilette herauskam. » Er ist es!«, brüllte Garp. Der berittene Polizist musterte
verdutzt den jungen Kinderschänder.
    »Der hat aber keinen
Schnurrbart«, sagte der Polizist.
    »Er hat ihn gerade erst
abrasiert!«, rief

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