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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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willst.«
    Zuerst hatte er lange mit
Turteltäubchen vor ihrer dunklen Wohnung im Auto gesessen. Der Zeitpunkt war
gut [296]  gewählt – das Semester ging zu Ende, und Cindy verließ die Stadt. Sie
war schon ganz traurig, dass sie sich von ihrem Lieblingsschriftsteller
verabschieden musste; er war immerhin der einzige Schriftsteller, den sie
persönlich kennengelernt hatte.
    »Ich bin überzeugt, nächstes Jahr
wird ein gutes Jahr für Sie, Cindy«, sagte er. »Und wenn Sie wiederkommen, um
jemanden zu besuchen, melden Sie sich bitte bei uns. Duncan wird Sie
vermissen.« Das Mädchen starrte auf die kalte Armaturenbrettbeleuchtung und
blickte dann unglücklich und tränenüberströmt zu Garp hinüber, während ihr die
Röte ins Gesicht stieg.
    »Ich werde Sie vermissen«, schluchzte sie.
    »Nein, nein«, sagte Garp. »Bitte
vermiss mich nicht !«
    »Ich liebe Sie«, flüsterte sie und ließ ihr schmales Köpfchen ungeschickt an seine
Schulter plumpsen.
    »Nein, sag das nicht!«, bat er
und berührte sie nicht. Noch nicht.
    Die drei Gummis warteten geduldig
wie zusammengerollte Schlangen in seiner Tasche.
    In ihrer staubigen Wohnung
benutzte er nur einen davon. Zu seiner Überraschung waren alle ihre Möbel
bereits abgeholt worden; sie stellten ihre großen Koffer zusammen und machten
sich ein unbequemes Bett. Er blieb keine Sekunde länger als unbedingt nötig,
damit Helen nicht dachte, selbst für einen literarischen Abschied dauere es zu lange.
    Das Gelände des Mädchencolleges
durchströmte ein stark angeschwollener Fluss; ihm vertraute Garp die beiden
verbliebenen Gummis an. Er warf sie verstohlen aus dem Fenster seines fahrenden
Autos – wobei er sich vorstellte, [297]  ein aufmerksamer Campus-Wächter hätte ihn
beobachtet und kletterte bereits die Böschung hinab, um das Beweisstück zu
bergen: zwei Gummis, dem Strom entrissen! Die Waffe, die zu dem Verbrechen
zurückführt, für das sie benutzt wurde.
    Aber niemand sah ihn, und niemand
fand es heraus. Selbst Helen, die schon schlief, hätte den Geruch nach Sex
nicht verdächtig finden können – schließlich hatte er ihn sich erst vor wenigen
Stunden legitim zugelegt. Trotzdem duschte Garp und kroch sauber in sein
sicheres Bett; er schmiegte sich an Helen, die ihm zärtlich etwas ins Ohr
flüsterte und instinktiv einen ihrer langen Schenkel um seine Hüfte schlang.
Als er nicht reagierte, drückte sie ihre Gesäßbacken an ihn. Er spürte einen
Kloß im Hals, weil sie ihm so vertraute – und weil er sie so liebte. Zärtlich
strich er über die leichte Schwellung von Helens Schwangerschaft.
    Duncan war ein gesundes,
aufgewecktes Kind. Garps erster Roman hatte Garp zumindest zu dem gemacht, was
er hatte werden wollen. Seine Triebhaftigkeit war weiterhin ein Unruhefaktor in
Garps jungem Leben, aber er hatte das Glück, dass seine Frau ihn immer noch
begehrte und er sie. Nun würde ein zweites Kind ihr sorgfältig geregeltes
Abenteuer bereichern. Ängstlich tastete er Helens Bauch ab – nach einem Tritt,
einem Lebenszeichen. Obwohl er sich mit Helen darüber einig war, dass es schön
wäre, ein Mädchen zu bekommen, hoffte Garp auf einen
zweiten Jungen.
    Warum?, dachte er. Er musste an
das Mädchen im Park denken, an die zungenlose Ellen James, an die
folgenschweren Entscheidungen seiner Mutter. Er schätzte sich glücklich, mit
Helen zusammenzuleben; sie hatte ihren eigenen [298]  Ehrgeiz, und er konnte sie
nicht manipulieren. Aber er dachte auch an die Huren in der Kärntner Straße und
an Cushie Percy (die im Kindbett sterben sollte). Und schließlich dachte er
auch an Turteltäubchen Cindy, die er missbraucht hatte und deren Geruch
(zumindest in seiner Vorstellung und obwohl er geduscht hatte) noch immer an
ihm haftete. Sie hatte beim Beischlaf geweint, den Rücken gegen einen Koffer
gekrümmt. An ihrer Schläfe, der durchscheinenden Schläfe eines hellhäutigen
Kindes, hatte eine blaue Ader pulsiert. Und obwohl Cindy ihre Zunge noch hatte,
war sie unfähig gewesen, etwas zu ihm zu sagen, als
er sie verließ.
    Garp wollte wegen der Männer keine Tochter. Wegen der schlechten Männer, natürlich; aber auch, dachte er, wegen der Männer, die so sind wie ich.

[299]  8
    Zweite Kinder, zweite Romane,
zweite Liebe
    Es war ein Junge – ihr
zweiter Sohn. Duncans Bruder bekam den Namen Walt – auf keinen Fall Walter und
nicht der deutsche Wald; er war einfach ein t am Ende von einem Wall. Walt: wie ein Biberschwanz, der
das Wasser peitscht, wie ein gut

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