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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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habe diesen Monat
Abschlussprüfung«, sagte sie.
    »An der Highschool?«, fragte Garp
staunend.
    [293]  »Nein, an der
Junior-Highschool«, sagte das Mädchen und lachte nervös.
    »Wunderbar!«, sagte Garp. Und
unwillkürlich fügte er hinzu: »Vielleicht komme ich zur Abschlussfeier.«
    Aber das Mädchen machte plötzlich
ein erschrockenes Gesicht. »Bitte nicht«, sagte sie. »Kommen Sie bitte nicht!«
    Er sah sie nach dieser Begegnung
noch verschiedene Male, aber sie erkannte ihn nie mehr wieder, weil er sich den
Bart abrasiert hatte. »Warum lässt du dir nicht wieder einen Bart stehen?«,
fragte Helen ihn gelegentlich. »Oder wenigstens einen Schnurrbart.« Aber jedes
Mal, wenn Garp das geschändete Mädchen traf und unerkannt entkam, fühlte er
sich in seinem Entschluss bestärkt, glattrasiert zu bleiben.
    »Ich finde es verstörend«,
schrieb Garp, »wie oft ich mit Vergewaltigungen in Berührung gekommen bin«, und
meinte die Zehnjährige im Stadtpark und die elfjährige Ellen James samt der
nach ihr benannten schrecklichen Organisation – all die sich selbst
verstümmelnden Frauen aus der Entourage seiner Mutter mit ihrer symbolischen,
selbstauferlegten Sprachlosigkeit. Später sollte er sogar einen Roman schreiben – einen Roman, den einige schon für so unverzichtbar hielten wie Brot und Seife –, in dem Vergewaltigungen eine große Rolle spielten. Vielleicht ging Garp
deshalb so offensiv mit dem Thema um, weil er sich dann stellvertretend für die
Triebtäter seiner eigenen Triebhaftigkeit schämte, obwohl er diese meist gut im
Griff hatte. Ihm selbst war nie danach, jemanden zu vergewaltigen.
    Letztlich führte er seine eigenen
Schuldgefühle auf eine [294]  vergewaltigungsähnliche Situation zurück, in der er
Turteltäubchen verführt hatte. Dabei war es alles andere als eine
Vergewaltigung gewesen, sondern einfach nur eine von langer Hand geplante
Verführung. Er hatte sogar Wochen im Voraus die Gummis gekauft, wohl wissend,
wofür er sie benutzen würde. Sind nicht die schlimmsten Verbrechen die
vorsätzlichen? Es war nicht etwa so, dass Garp einer plötzlichen Leidenschaft
für die Babysitterin erlag: Er stand nur einfach zur Verfügung, als Cindy ihrer Leidenschaft für ihn erlag. Er musste also innerlich
zusammengezuckt sein, weil er ja genau wusste, wofür
die Gummis bestimmt waren, als sie ihm vor dem alten Herrn im Drugstore aus der
Hand fielen und er hörte, wie der alte Mann ihn beschuldigte: »Auf der Jagd
nach weiteren Unschuldigen, die er schänden und entehren kann!« Wie wahr.
    Dennoch pflasterte er den Weg
seines Begehrens für das Mädchen mit Hindernissen; zweimal versteckte er die
Gummis – ohne indessen zu vergessen, wo er sie versteckt hatte. Und vor dem
letzten Abend, an dem Cindy für sie babysittete, nötigte er Helen in seiner
Verzweiflung zu Sex am späten Nachmittag. Als sie sich eigentlich zum
Abendessen hätten umziehen oder Duncans Abendbrot herrichten sollen, schloss
Garp die Schlafzimmertür ab und zog Helen von ihrem Wandschrank weg.
    »Bist du verrückt?«, fragte sie
ihn. »Wir sind eingeladen.«
    »Ich hab so schreckliche Lust«,
flehte er. »Sag nicht nein.«
    Sie zog ihn auf.» Bitte, Sir, ich mache es
prinzipiell nie vor der Vorspeise.«
    [295]  » Du bist die Vorspeise«, sagte Garp.
    »Oh, vielen
Dank «, sagte Helen.
    »He, die Tür ist abgeschlossen«,
sagte Duncan und klopfte.
    »Duncan«, rief Garp, »schau doch
mal nach, und sag uns, was das Wetter macht.«
    »Das Wetter?«, fragte Duncan und
versuchte, die Schlafzimmertür aufzudrücken.
    »Ich glaube, im Garten schneit
es!«, rief Garp. »Schau doch mal nach.«
    Helen erstickte ihr Lachen und
ihre anderen Töne an seiner festen Schulter; sie war überrascht, wie schnell er
kam. Duncan trottete zur Schlafzimmertür zurück und meldete, im Garten und
überall sonst sei Frühling. Jetzt, da er fertig war, ließ Garp ihn ins
Schlafzimmer.
    Aber er war nicht fertig. Er
wusste es – als er mit Helen von der Party nach Hause fuhr, wusste er genau, wo
die Gummis waren: unter der Schreibmaschine, die in den trostlosen Monaten nach
Erscheinen von Zaudern geschwiegen hatte.
    »Du siehst müde aus«, sagte
Helen. »Soll ich Cindy nach Hause bringen?«
    »Nein, das geht schon in
Ordnung«, murmelte er. »Ich mach das.«
    Helen lächelte ihn an und drückte
die Wange an seinen Mund. »Mein leidenschaftlicher Nachmittagsliebhaber«,
flüsterte sie.» So kannst
du mich immer zum Essen ausführen, wenn du

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