Garten des Lebens
Susannah, ihre Mutter zu besuchen. Sie hoffte, dass Chrissie Vivian noch nichts von ihren Plänen, in Colville zu bleiben, erzählt hatte, denn ihre Großmutter würde es natürlich sehr begrüßen, die Enkeltochter in der Nähe zu haben.
Als Susannah im
Altamira
ankam, saß Vivian in ihrem Apartment und sah fern. Wie gebannt fixierte sie den Bildschirm. Wie immer lief der Kochkanal.
“Hi, Mom.”
Ihre Mutter riss sich vom Fernseher los und sah die Tochter an. Ein Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht. “Jean, es tut so gut, dich zu sehen.”
Immer häufiger verwechselte Vivian Susannah mittlerweile mit ihrer Tante.
“Mom, ich bin's, Susannah.”
Ihre Mutter runzelte die Stirn. “Ich weiß das.”
“Hast du einen Augenblick Zeit zum Reden?”, fragte sie und bemühte sich, ihre Stimme sanft und geduldig klingen zu lassen.
Vivian ergriff die Fernbedienung und schaltete den Ton ab. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und blickte ihre Tochter erwartungsvoll an. “Worüber möchtest du gern reden?”
“Mom, kann ich dir ein paar Fragen über Doug stellen?” Es fiel Susannah alles andere als leicht.
Ihre Mutter blinzelte, als ob ihr der Name im ersten Moment nichts sagen würde. Dann schien ihr mit einem Mal alles wieder einzufallen. Tränen stiegen in ihre Augen und liefen an den eingefallenen Wangen hinab.
Susannah ging zu ihrer Mutter und legte ihren Arm um Vivians Schultern. “Mom, es tut mir leid. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen.”
Sie schüttelte den Kopf. “Es ist alles vor so langer Zeit geschehen. Ich weiß nicht, an wie viel ich mich noch erinnern kann.”
“Dann beantworte nur die Fragen, auf die du eine Antwort kennst.”
“Willst du über Dad reden?”
“Nein, Doug.” Es erschreckte Susannah, wie schlecht das Kurzzeitgedächtnis ihrer Mutter geworden war. “War Doug in Schwierigkeiten, als er starb?”
“Schwierigkeiten?”, wiederholte Vivian. “Mit wem?”
“Mit dem Gesetz”, erwiderte Susannah. Sie gab ihrer Stimme einen so sachlichen Klang, als würden sie über etwas Alltägliches reden wie die Zutaten, die für ein bestimmtes Gericht gebraucht wurden.
“Doug war ein guter Junge. Jeder mochte ihn.”
Da sie die Vorliebe ihres Vater kannte, wichtige Dinge von ihrer Mutter fernzuhalten, fragte Susannah sich, wie viel Vivian damals überhaupt mitbekommen hatte – unabhängig von dem, woran sie sich jetzt noch erinnern konnte.
“Keine Mutter sollte jemals ihren Sohn zu Grabe tragen müssen.” Vivian schwieg. Sie starrte in die Ferne, als sei sie in der Erinnerung gefangen. “Oh, Jean, ich bin so dankbar, dass du nach Dougs Beerdigung vorbeigekommen bist. Dass du bei mir warst, hat mich gerettet.”
Schon wieder verwechselte Vivian sie mit ihrer Tante. Waren sie einander denn so ähnlich? Susannah streichelte die Hand ihrer Mutter. Es war unwahrscheinlich, dass Vivian ihr weiterhelfen konnte.
“Wer waren Dougs Freunde?”, fragte Susannah in einem letzten Versuch, doch noch etwas zu erfahren. Sie kniete sich neben ihrer Mutter auf den Boden.
“Da war dieser Ronny Pedderson.”
Ron und Doug waren zusammen bei den Pfadfindern gewesen, erinnerte sich Susannah.
“Ronny lebt jetzt in Portland. Seine Mutter hat mir alles über ihn und seine Familie erzählt. Es war Doug ja nie vergönnt zu heiraten.” Wieder traten Vivian Tränen in die Augen.
“Ja, Mom, ich weiß.”
“Er und Scotty waren ebenfalls gute Freunde.”
“Denk nicht weiter darüber nach”, murmelte Susannah. “Ich hätte dich nicht fragen sollen.”
“Warum hast du nach Doug gefragt?” Vivian weinte. “George hat mich nie über ihn reden lassen. Jedes Mal, wenn ich seinen Namen nannte, wurde er böse.” Sie zog ein Taschentuch aus einer Tasche ihres Kleides. “Ich konnte nicht so tun, als hätte es unseren Sohn nie gegeben, obwohl George es so wollte. Es schien, als sei alles Liebe und Gute in ihm mit Doug gestorben.”
“Es tut mir leid, Mom.”
“Du warst meine einzige Freude.” Vivian hob die Hand und strich zart über Susannahs Gesicht. “Ich weiß, dass du nie ein gutes Verhältnis zu deinem Vater hattest. Ich wollte ihm immer klarmachen, dass seine Art und sein Verhalten dir gegenüber euch beiden wehtat, doch er hörte mir nie zu.”
“Mom, bitte, lass uns nicht mehr darüber reden.” Plötzlich schien Vivian sich ganz genau an alles zu erinnern, und das war fast noch schlimmer als ihre Vergesslichkeit – denn die Erinnerungen brachten auch den Schmerz
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