Garten des Lebens
Wasser kochte. Susannah füllte die Tassen und stellte sie zur Seite, damit der Tee ziehen konnte.
“Würdest du mitkommen?”, fragte Susannah. “In der Nachricht steht nichts davon, dass ich allein kommen soll.” Die Vorstellung, zu diesem geheimen Treffen zu gehen, erfüllte sie mit einer Mischung aus Nervosität und Schuld – das Schuldgefühl hatte sie wegen Joe, dem sie dieses Treffen verheimlichen würde.
Ein Treffen. Nur eines. Sie würde sich für das Verhalten ihres Vaters entschuldigen und es dann gut sein lassen. Sie wollte nur wissen, ob Jake, trotz ihres Vaters, ein gutes Leben führte. Von Herzen wünschte sie sich, dass er glücklich war. Und sie würde ihn nach Troy fragen. Vielleicht hatte er Einfluss auf seinen Sohn. Ja, Jake konnte ihr möglicherweise helfen.
“Du möchtest, dass ich mit dir komme?” Carolyn schüttelte den Kopf. “Selbst wenn in der Nachricht nichts darüber steht, bin ich mir ziemlich sicher, dass er dich allein sehen will.”
“Ich denke, du hast recht”, gab Susannah zögerlich zu. “Er denkt wahrscheinlich, dass es für ihn sicherer ist, wenn ich allein komme.”
Susannah entfernte die Teebeutel aus den Tassen und nahm eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank. “Ich finde, der Friedhof ist ein seltsamer Platz für ein Treffen, denkst du nicht? Wie in den Gothic-Romanzen, die wir in der Schule gelesen haben.”
“Ja”, entgegnete Carolyn, die die Milch in ihren Tee rührte. “Die Bücher mit einer Abbildung der Heldin auf dem Cover, die nur ein Nachthemd trägt und eine Kerze in der Hand hält. Es ist immer dunkel und meistens steht sie an einem Abgrund.”
Susannah lächelte. “Und sie folgt den Hinweisen, die sie in einer anonymen Nachricht erhalten hat.”
“Eine Nachricht, die sie zum Friedhof führt”, fügte Carolyn grinsend hinzu. “Vielleicht ist das Jakes Art, dir zu sagen, dass eure Beziehung tot ist.”
Die beiden Frauen setzten sich an den Küchentisch. Susannah nahm an, dass er den Friedhof gewählt hatte, weil er dort wohl kaum auf jemanden stoßen würde, der ihn erkannte. Sie teilte Carolyn ihren Gedanken mit, und die beiden lachten.
“Ja”, sagte Carolyn. “Die Toten erzählen keine Geschichten.”
Einen Moment lang dachte Susannah darüber nach, wie oft Jake in den vergangenen Jahren alles riskiert hatte, um in die USA zu kommen. Sie nahm an, dass er ab und an zu Sharon gefahren war oder sie ihn besucht hatte.
“Bist du sicher, dass du das allein schaffst?”, fragte Carolyn besorgt. “Ich würde ja beim Eingang auf dich warten, aber er hat nicht genau gesagt, wo er dich treffen will. Und womöglich macht er einen Rückzieher, wenn er mich sieht.”
“Du hast recht. Ich schaffe das schon.” Sie
würde
Joe davon erzählen, entschied sie. Ihr Ehemann hatte das Recht, es zu erfahren.
“Ich werde hierbleiben, bis du zurückkommst”, sagte Carolyn.
“Das musst du nicht tun.”
“Doch, ich warte gern hier auf dich. Jemand muss wissen, wo du bist. Und im Übrigen sterbe ich vor Neugierde.” Sie kicherte, und es hörte sich so an wie damals, als sie noch zur Highschool gingen.
Um zwanzig vor sieben nahm Susannah sich ein wenig Zeit, um ihr Make-up aufzufrischen und ihr Haar zu bürsten. Ihre Nerven flatterten, und sie überlegte, ob sie sich vielleicht umziehen und etwas Feminineres als Jeans und Baumwollbluse tragen sollte. Susannah drehte sich vor dem Spiegel im Flur hin und her. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Kein Zweifel, sie war keine siebzehn mehr – aber Jake war ja auch älter geworden.
“Wie sehe ich aus?”, fragte sie und drehte sich vor Carolyn um, damit sie sich ein Bild machen konnte.
“Willst du die Wahrheit hören?”
“Natürlich will ich das”, sagte Susannah – und ahnte, dass ihr die Wahrheit wahrscheinlich nicht gefallen würde. Sie schob ihr Haar hinter die Ohren und bemerkte, dass sie zitterte.
“Du siehst aus, als müsstest du dich jeden Moment übergeben.”
Leise lachend gab Susannah zu: “Und genauso fühle ich mich auch.”
Plötzlich klingelte das Telefon, und Susannah zuckte zusammen. Sie ging mit schweren Schritten zum Küchentelefon und hatte beinahe Angst, den Hörer in die Hand zu nehmen und sich zu melden.
Wieder klingelte es.
“Willst du nicht rangehen?”, fragte Carolyn nach dem dritten Klingeln.
Susannahs Gefühl riet ihr, das Telefon läuten zu lassen, doch es stand zu viel auf dem Spiel, und so ergriff sie den Hörer, bevor der Anrufbeantworter
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