Garten des Lebens
übersehen haben konnte. Wer war diese Person? Und warum wollte sie sich mit ihr treffen?
Carolyn kam die Treppe herauf. “Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals so aufgelöst erlebt zu haben.”
Susannah stand auf und führte sie ins Haus, direkt in ihr Schlafzimmer. “Lies das”, sagte sie und deutete auf den kleinen Schreibtisch, auf dem die Notiz noch immer lag.
Carolyn ging langsam in das Zimmer und auf den kleinen Tisch zu.
“Weißt du, wer das geschrieben hat?”, fragte sie und warf Susannah über die Schulter einen Blick zu.
“Ich habe da so eine Ahnung”, erwiderte sie. In den vergangenen Minuten bis zu Carolyns Eintreffen hatte sie über nichts anderes nachgedacht.
Susannah sank auf die Bettkante. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Handflächen waren feucht. Sie fühlte sich benommen, und ihr fiel ein, dass sie seit dem Morgen nichts mehr zu sich genommen hatte. Doch schon allein der Gedanke an etwas zu essen bereitete ihr Übelkeit.
“Der Friedhof”, sagte Carolyn. Die Matratze sank etwas ein, als Carolyn sich neben Susannah setzte.
“Um sieben.” Zum Glück würde es dann noch hell sein. Nicht, dass Susannah schon ihre Entscheidung gefällt hätte. Sollte sie gehen? Oder nicht? Sie versuchte, sich über die Konsequenzen ihres Handelns, wie auch immer es aussehen mochte, klar zu werden.
“Glaubst du, es könnte Jake sein?”, fragte Carolyn leise.
“Ich kann mir nicht vorstellen, wer es sonst sein sollte.” Sharon wollte ihm ausrichten, dass Susannah nach ihm gefragt hatte – und offensichtlich hatte sie ihr Versprechen gehalten.
“Das ergibt Sinn”, sagte Carolyn. “Wir wissen jetzt, warum er gegangen ist, und – was noch wichtiger ist – warum er nicht nach Colville zurückkehrte, als du nach Hause kamst.”
Obwohl es ein Schock war, erklärten die Dinge, die sie über Jakes Probleme mit dem Gesetz erfahren hatten, doch einiges. Nach ihrer Rückkehr aus Frankreich war die einzige Adresse, die er von Susannah hatte, die ihres Elternhauses. Niemals hätte er sich dorthin wenden können. Da er von der Polizei gesucht wurde, hätte er sich selbst und womöglich auch Susannah in Gefahr gebracht. Außerdem wusste Jake, dass ihr Vater jeglichen Kontakt zwischen den beiden ablehnte. Falls er ihr einen Brief geschrieben haben sollte, hatte ihr Vater ihn wahrscheinlich zerstört.
“Jake muss mitbekommen haben, dass du nach ihm suchst”, überlegte Carolyn.
Susannah nickte. “Sharon hat es ihm erzählt. Sie sagte, sie würde es tun.”
“Wirst du hingehen?”
“Ich … ich weiß nicht.”
Carolyn starrte sie an. “Du machst Scherze! Ich dachte, du hast dir genau das gewünscht!”
“Habe ich auch. Aber das ist vorbei. Jetzt … ich bin mir nicht sicher.” Ein Gefühl der Beklommenheit ergriff sie, und sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. “Das Leben kann sehr kompliziert sein”, sagte sie mit einem tiefen Seufzer.
“Wenn es Jake ist, nimmt er ein ungeheures Risiko in Kauf.”
“Ich weiß.” Wenn das bekannt wurde, würde Jake sofort festgenommen und ins Gefängnis gebracht werden. Es war möglich, dass er in einem Bundesgefängnis endete.
Susannah fühlte sich zittrig. Sie ging in die Küche, um Tee aufzusetzen, und Carolyn folgte ihr.
“Du siehst blass aus”, bemerkte Carolyn. “Dich nimmt die Sache wirklich mit, nicht wahr?”
“Es ist nicht nur diese Nachricht, es ist auch Chrissie”, sagte Susannah und hängte Teebeutel in zwei Tassen, die noch nicht verpackt waren. “Gestern habe ich Troy mit einer andern Frau gesehen – und ich habe Chrissie davon erzählt.”
“Und das ist nicht so gut gelaufen?”
Susannah lachte leise. “Das kannst du laut sagen. Ich weiß absolut nicht, was Chrissie an ihm findet. Ich wünschte, ich könnte ihrem Urteilsvermögen vertrauen, aber das kann ich nicht.” Was Susannah am meisten bedrückte, war, dass sie Chrissie gegenüber fast das gleiche Verhalten an den Tag legte, wie George es bei ihr gemacht hatte. Tatsächlich waren Chrissies Anschuldigungen ein nahezu identisches Echo der Vorwürfe, die Susannah ihrem Vater gemacht hatte. Tatsächlich – ihr eigenes Auflehnen gegen die Erwachsenenwelt starrte ihr direkt ins Gesicht, so als würde ihr eigenes jugendliches Ich durch Chrissie wiederbelebt. Susannah konnte nun nachempfinden, wie sich ihr Vater gefühlt haben musste. Und welch Ironie des Schicksals – der Mann, um den es jetzt und hier ging, war Jakes Sohn …
Der Kessel pfiff, als das
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