Garten des Lebens
ansprang.
“Hier bei Leary”, meldete sie sich steif.
“Spreche ich mit Susannah Nelson?”, fragte eine weibliche Stimme.
“Ja, ich bin Susannah Nelson.”
“Gut, dass ich Sie erreiche. Hier spricht Michelle Larson vom
Altamira.
Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihre Mutter ist schwer gestürzt. Wir haben sie ins Memorial Hospital gebracht.”
Susannahs Herz schlug bis zum Hals. “Geht es ihr gut?”
“Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Es sieht so aus, als habe sie sich das Becken gebrochen.”
“O nein!”
“Laut der Unterlagen besitzen Sie die Handlungsvollmacht. Ist das richtig?”
“Ja.” Wenn sie Susannah das fragte, war ihre Mutter wahrscheinlich bewusstlos.
“Sie müssten im Krankenhaus einige Formulare unterzeichnen.”
“Ich bin in fünf Minuten da.” Susannah hängte den Hörer ein und wandte sich zum Gehen.
“Susannah!” Carolyn lief ihr hinterher. “Was ist passiert?”
“Mom. Sie ist gefallen – sie haben sie ins Krankenhaus gebracht.” Sie schrieb hastig ein paar Zeilen für Chrissie, riss ihre Tasche von dem kleinen Tisch im Flur und war schon fast durch die Tür, als Carolyn sie abermals aufhielt.
“Was ist mit deinem Treffen mit Jake?”
Einen Moment lang hatte Susannah das Treffen total vergessen. “
Du
gehst.”
“Ich?” Überrumpelt deutete Carolyn mit dem Finger auf sich selbst.
“Ich habe keine andere Möglichkeit. Mom braucht mich.” Sie hasste es, Carolyn darum zu bitten, aber sie hatte niemanden, den sie sonst fragen konnte.
Ihre Freundin nickte ganz langsam. “Okay.”
“Ich schulde dir was”, sagte Susannah und verschwand durch die Haustür.
“Das stimmt”, erwiderte Carolyn und folgte ihr. “Ich treffe dich dann im Krankenhaus.”
36. KAPITEL
D as Tor, das zum Calvary-Friedhof führte, war verschlossen.
“Oh, toll”, murmelte Carolyn, stellte den Wagen an der Straße ab und stieg aus. Zwischen den Gitterstäben des Tores war genug Platz, damit Carolyn sich hindurchzwängen konnte. Sie strich ihr Hemd glatt und ging auf den Friedhof.
Carolyn sah sich um, konnte aber keine geparkten Wagen oder anderen Besucher entdecken. Ganz allein auf einem Friedhof zu sein, kam ihr ein wenig … unheimlich vor – auch wenn sie nicht besonders ängstlich veranlagt war. Die Nachricht hatte nicht verraten, wo genau Susannah Jake – oder wer auch immer der mysteriöse Eindringling war – treffen sollte. Obwohl der Calvary-Friedhof nicht allzu groß war, war er doch groß genug, um jemandem, der nicht entdeckt werden wollte, Schutz zu bieten.
Die Arme um ihre Taille gepresst, ging Carolyn den geteerten Hauptweg entlang. Es erschien ihr am sinnvollsten, an George Learys Grab zu warten. Nach einer kurzen Suche fand sie den Platz. Der marmorne Grabstein enthielt Georges Geburts- und sein Sterbedatum sowie die Geburtsdaten seiner Frau. Wie ihr eigener Vater war auch George Leary ein genügsamer Mensch gewesen. Verzierungen oder Worte des Trostes – ein Zitat oder ein Psalm – waren unerwünscht.
Seufzend blickte Carolyn auf. Auf dem Friedhof herrschte im wahrsten Sinne des Wortes Totenstille. Carolyn musste über dieses ungewollte Wortspiel schmunzeln. Niemand, nicht einmal der Friedhofswart, war zu sehen.
“Das könnte ein sehr langer Abend werden”, dachte sie laut und warf einen Blick auf ihre Uhr. Fünf vor sieben.
Während sie ungeduldig die Wege an den Gräbern auf und ab ging, sah sie immer wieder auf ihre Uhr. Jede Minute schien sich endlos in die Länge zu ziehen. Offensichtlich vertat sie sinnlos ihre Zeit, und allmählich fühlte sie sich entmutigt.
Carolyn ging zu dem Grab, in dem ihre Eltern zur letzten Ruhe gebettet worden waren, kniete sich hin und fuhr mit der Hand über den marmornen Grabstein. Erst vor ein paar Tagen war sie zum letzten Mal dort gewesen. Die Blumen, die sie beim letzten Besuch für ihre Eltern, für Lily und für Doug mitgebracht hatte, waren inzwischen verwelkt und entfernt worden.
Viele der Gräber waren mit künstlichen Blumen verziert. Sie jedoch zog einen frisch geschnittenen Blumenstrauß aus dem Garten vor, den ihre Mutter vor vielen Jahren angelegt hatte. Es erschien ihr nur angemessen.
Gegen halb acht war sie sich sicher, dass Jake nicht mehr kommen würde. Er hatte mit Susannah gerechnet und sich vermutlich entschieden umzudrehen, nachdem er Carolyn entdeckt hatte. Es gab keinen Grund, ihr zu vertrauen. Carolyn nahm an, dass er seine Freiheit nicht unnötig aufs Spiel setzen
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