Garten des Lebens
gesprochen.
“Ich erinnere mich, dass ich immer besser sprach, je mehr Wein ich trank”, sagte Susannah und lachte.
Carolyn grinste. “Mom hat mir schon als Kind Französisch beigebracht.” Sie benutzte die Fremdsprache heute kaum noch, war aber froh, sie gelernt zu haben.
“Warst du nach der Highschool noch mal in Paris?”, fragte Susannah.
“Ein paar Mal. Meine Großeltern starben im Krieg, und ich hatte nur eine Tante, die nie verheiratet war. Meine Mutter wollte, dass ich nicht vergesse, woher wir kommen, und ich bin ihr dankbar für die Zeit, die ich in Frankreich verbringen durfte. Trotzdem ist Colville meine Heimat.” Carolyn wusste, warum ihre Mutter darauf bestanden hatte, dass sie in Frankreich zur Schule ging. Sie hatte gehofft, dass Carolyn einen netten Franzosen kennenlernen und sich in ihn verlieben würde. Aber Brigitte hatte wohl unterschätzt, wie streng die Nonnen im Internat über die ihnen anvertrauten Mädchen wachten. Die Chance, Jungen innerhalb – und auch außerhalb – der Mauern dieser Klosterschule zu treffen, war gleich null.
Susannah warf einen Blick auf ihre Uhr. “Es ist neun Uhr. Ich muss los. Mom wartet sicher schon auf mich.” Sie atmete tief durch und sagte: “Ich habe ein paar Einrichtungen für betreutes Wohnen herausgesucht, die wir morgen besichtigen werden.”
“Und sie weiß noch nichts davon?”
Susannah schüttelte den Kopf. “Ich dachte, ich spreche das Thema beim Abendessen an, aber ich konnte es einfach nicht. Mom war so glücklich, mich bei sich zu haben und mit mir zusammen in ein Restaurant zu gehen, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, sie aufzuregen.”
“Sie vermisst deinen Vater, nicht wahr?”
“Ganz fürchterlich. Das ist auch verständlich – immerhin haben die beiden ihr ganzes Leben miteinander verbracht. Mom ist total aufgeschmissen ohne ihn, aber das ist noch nicht das Schlimmste.” Susannah schüttelte den Kopf. “Als wir nach Hause fuhren, wurde Mom plötzlich ganz still. Sie sagte, sie habe mir etwas Wichtiges zu sagen. Und dann hat sie behauptet, mein Vater wäre zu Beginn der Woche bei ihr gewesen.” Susannah schloss für einen Moment die Augen. “Ihre Nachbarin hat mir schon davon erzählt. Aber meine Mutter zu hören, wie sie die Begegnung beschrieb …”
“Sie vermisst ihn so sehr, dass ihr Unterbewusstsein ihn heraufbeschwört”, überlegte Carolyn.
“Das habe ich auch zuerst gedacht, aber dann erzählte Mom, dass er sie nach Hause begleitet hat. Das war also keine kurze Halluzination, kein Streich ihrer Nerven. Sie hat meinen Arm so sehr gedrückt, dass es fast schon wehtat. Meine Mutter behauptet, sie habe beinahe eine halbe Stunde mit ihm verbracht.”
Erschrocken starrte Carolyn Susannah an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Außer, dass Mrs. Leary offenbar in äußerst schlechter Verfassung war, aber das wusste Susannah selbst.
6. KAPITEL
A m nächsten Morgen spazierte Susannah durch den Garten ihrer Mutter. Sie suchte einen Moment des Friedens und der Ruhe. Als Kind war sie im Sommer oft draußen gewesen, hatte die Blumen betrachtet und beobachtet, wie sie wachsen, den Duft der Blüten eingeatmet und Pläne für den Tag gemacht. Susannah fand, dass Vivians Pflanzen und Blumenbeete in einem ausgesprochen guten Zustand waren – viel besser, als sie es erwartet hatte.
Nach ihrem morgendlichen Spaziergang kehrte sie ins Haus zurück, um Kaffee zu trinken. Als sie auf der Suche nach Milch oder Kaffeesahne den Kühlschrank ihrer Mutter öffnete, bot sich ihr ein erschreckender Anblick: Schimmeliger Käse lag neben verfaulten Tomaten, Plastikdosen mit Überresten von Mahlzeiten standen in den Fächern, einige von ihnen waren mit Sicherheit Tage, wenn nicht sogar Wochen alt. Daneben entdeckte Susannah ein paar Behälter aus Stanniol, in denen sie Fleisch vermutete. Doch sie verspürte keine große Lust, herauszufinden, was sich tatsächlich in diesen Schachteln befand. Fast alles hätte schon vor langer Zeit weggeworfen werden müssen.
Der Kaffee gluckerte fröhlich in der altmodischen Kaffeemaschine hinter ihr und verbreitete sein verheißungsvolles Aroma. Milch hatte sie natürlich nicht gefunden, aber in der Kühlschranktür standen mehrere Flaschen und Gläser mit Senf, von denen ein paar noch nicht geöffnet waren. Wie viel Senf konnte eine Frau sammeln? Susannah zählte zwölf unterschiedliche Sorten – mindestens acht mehr, als sie während ihres Besuchs im März gesehen hatte.
“Ich
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