Garten des Lebens
unterhalten”, sagte Susannah und bedeutete Vivian, sich zu ihr zu setzen.
“Nicht, wenn es um das Thema geht, das ich denke.” Ihre Mutter machte Anstalten, sich aus der Küche zurückzuziehen.
“Fragst du dich nicht, warum ich früher hierhergekommen bin, als ich eigentlich vorhatte?”
Ihre Mutter zögerte. “Ja, vielleicht.”
“Bitte setz dich, Mom.”
“Ich verpasse meine Sendung.”
“Der Kochkanal wiederholt die Sendung doch morgen früh. Und bevor du fragst – es ist völlig in Ordnung, auch mal am Tag Fernsehen zu schauen.”
Vivian kniff misstrauisch die Augen zusammen, und ihre Miene verriet, dass sie sich nicht sicher war, ob sie ihrer Tochter glauben sollte. Das war nicht unbedingt die Art, wie Susannah eine solch wichtige Unterhaltung anfangen wollte. Statt weiter zu diskutieren, begann sie ohne Umschweife: “Martha hat mich in Seattle angerufen, und ich habe mit Mrs. Henderson gesprochen.”
Ihre Mutter setzte sich auf den Stuhl, aufrecht und mit ablehnendem Blick. “Also gut, erzähl mir, was Rachel hinter meinem Rücken erzählt hat. Martha kann man nicht vertrauen.”
“Mutter, Mrs. Henderson ist deine Freundin.” Das Thema Martha würde sie später noch besprechen.
“Sie ist neidisch auf meinen Garten. Das war sie schon immer.” Ihre Mutter verschränkte die Arme vor der Brust. “Ihre Gladiolen und Iris wuchsen nie so prächtig wie meine. Ihre Rosen auch nicht.”
Susannah wollte keine weiteren Kriegsschauplätze und überging Vivians Bemerkung. “Mrs. Henderson hat angerufen, weil sie sich Sorgen um dich macht. Genau wie Martha. Deine Freunde sorgen sich.”
Vivian machte eine verlegene Miene. “Du wärest auch verloren und verwirrt, wenn der Mann, mit dem du neunundfünfzig Jahre verheiratet warst, plötzlich sterben würde.”
Susannah schwieg.
“Ich werde in diesem Haus sterben, Susannah. Es ist mein Heim. Hierher gehöre ich. Ich werde nicht umziehen.”
Die Situation war verfahren. “Mutter, hör mir bitte zu. Es ist wirklich wichtig.”
“Ich höre dir zu. Aber es gefällt mir nicht,
was
ich höre.”
“Vor einigen Tagen habe ich mit deinem Arzt, Dr. Bethel, gesprochen, und er ist mit mir einer Meinung, dass es an der Zeit ist, in eine Einrichtung für betreutes Wohnen zu ziehen.” Susannah hatte ihn am Morgen ihrer Abfahrt angerufen. Sie wollte nicht nur seine Einschätzung hören, sondern Argumente bekommen, die ihre Mutter überzeugen würden.
Ihre Mutter rang nach Luft, als habe ihr langjähriger Arzt sie betrogen. “Das glaube ich nicht!”
“Bitte mach es nicht noch schwieriger, als es ohnehin schon ist. Ich habe für dich Termine im Haus
Altamira
und im
Flüsternde Weiden
gemacht.”
“Du kannst allein gehen, denn ich weigere mich mitzukommen.”
Der Mond stand wie eine Sichel am Himmel, während Vivian mit einem Taschentuch in der Hand im Garten saß. Sie konnte nicht schlafen. Georges alter Wecker hatte laut neben ihrem Bett getickt, und Vivian hatte die Stunden gezählt. Bald würde der Tag anbrechen, und noch immer hatte sie kein Auge zugetan. Es fühlte sich an, als hätte jeder Mensch, den sie kannte und dem sie vertraute, sich gegen sie gestellt – sogar ihre eigene Tochter. Früher war Rachel Henderson ihre Freundin gewesen, aber das hatte sich jetzt geändert. Und auch Dr. Bethel und Martha waren gegen sie. Sie wünschte, sie hätte in diesem Moment mit George reden können. Er hätte gewusst, was zu tun war. Doch er hatte sie nur dieses eine Mal besucht.
Vivian versuchte einzuschlafen, aber wann immer sie die Augen schloss, dachte sie daran, dass sie bald ihr Heim verlieren würde. Susannah wollte, dass sie mit fremden Menschen zusammenzog. Sie
konnte
die Chestnut Avenue nicht verlassen. Schließlich stand Vivian auf, zog den Bademantel über und ging hinaus, um ein bisschen im Garten zu sitzen.
Sie war alt und hatte schon so viel verloren. Sie hatte ihren Mann und ihren einzigen Sohn zu Grabe getragen. Alles, was ihr noch geblieben war, waren ihre Tochter, ihr Haus und ihre persönlichen Sachen. Alle Dinge, die ihr wichtig waren, befanden sich in diesem Haus. Ihre Bilder. Ihre Möbel. Die Kristallvase, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Vivians Urgroßmutter hatte sie aus Polen mitgebracht und Vivian hütete sie wie einen Schatz. In keiner Vase sahen ihre Blumen so gut aus wie in dieser …
Das Schlimmste von allem war, dass sie ihren Garten würde aufgeben müssen. Das war mehr, als sie ertragen konnte. Vivian
Weitere Kostenlose Bücher