Garten des Lebens
dass ihre Mutter nicht in der Lage war, auch nur die einfachsten Entscheidungen allein zu treffen. Wie alles andere würden auch der Umzug und der Verkauf des Hauses an ihrer hängen bleiben. Als sie mittags mit Joe telefonierte, hatte er vorgeschlagen, all die Dinge aus dem Haus erst einmal zwischenzulagern. Das war eine gute Idee, und Susannah hatte sofort begonnen, sie umzusetzen.
Es war nicht nur die Sorge um ihre Mutter. Susannah musste sich um die vielen Dinge kümmern, die ihre Eltern im Laufe ihres Lebens angesammelt hatten. Es schien, als hätten sie nie einen einzigen Gegenstand, nicht einmal einen Teller oder ein Kleidungsstück weggeworfen. Jahrzehntelang war Susannah ihrem Vater aus dem Weg gegangen, und nun war er allgegenwärtig. Wann immer sie eine Schublade aufzog – da war er. Die Erinnerungen an ihre Jugend bereiteten ihr Unbehagen. Weil er Richter war, hatte er geglaubt, jedermanns Leben bestimmen zu können – ob er nun den Richterhammer in der Hand hatte oder nicht.
Und auch auf Joe war sie wütend. Susannah schätzte seinen Rat, und gleichzeitig hatte sie den Eindruck, dass er die emotionalen Schwierigkeiten nicht verstehen und nachvollziehen konnte, mit denen sie sich konfrontiert sah. Er war in Seattle und lebte sein normales, so vorhersehbares Leben, und sie saß in Colville fest. Sie wollte nicht entscheiden müssen, was mit Tante Sophies handgestrickter Tagesdecke oder dem Briefmarkenalbum ihres Vaters geschehen sollte. Für Joe war es einfach, zu Hause zu sitzen und gute Ratschläge zu geben, dachte sie voller Bitterkeit. Natürlich war das ungerecht. Susannah wusste, dass er sich bemühte, sie zu unterstützen, und im Augenblick glaubte sie noch nicht einmal, dass es irgendetwas gab, was er tun oder sagen konnte, um sie zufriedenzustellen – und dennoch ärgerte sie sich. Beinahe über Nacht hatte sie sich in jemanden verwandelt, den sie weder kannte noch mochte. Selbst im Garten ihrer Mutter hatte sie nicht die Ruhe gefunden, die sie sonst an diesem Ort empfand. Auch an diesem sonst so friedvollen Ort fühlte sie die Wut im Bauch. Wie konnte ihre Mutter die einfachsten Dinge im Haushalt nicht schaffen und trotzdem ihren Garten in diesem makellosen Zustand erhalten? Es war, als hätte Vivian alles, bis auf ihre Blumen, vernachlässigt – ihr Leben, ihre äußere Erscheinung, ihr Verstand hatten kontinuierlich nachgelassen, doch ihr Garten nicht. Nein, nicht ihr heiß geliebter Garten.
Susannah setzte sich an den Küchentisch und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie war wütend auf ihren Vater und auf ihren Ehemann, und mittlerweile hatte sie auch ihre Mutter mit auf die Liste gesetzt. Nicht zu vergessen Doug. Wenn ihr Bruder noch leben würde, müsste sie all diese schmerzlichen Entscheidungen nicht allein treffen. Es waren sinnlose Gedanken, aber sie konnte es nicht verhindern, genau
so
zu empfinden. Susannah wünschte sich, sie könnte wieder siebzehn sein und alles wäre so wie vor dem Tag, der ihr gesamtes Leben verändert hatte. Der Tag, an dem Doug starb und Jake verschwand. Wenn sie die Zeit zurückdrehen könnte, würde sie nicht eine Sekunde zögern, mit Jake durchzubrennen. Dieses Mal würde sie ihr Glück beim Schopfe packen. Oh, nur einmal wieder jung sein, nur einmal noch die Liebe erleben mit der Intensität und der Leidenschaft der Jugend. Wenn sie noch einmal die Chance bekäme, würde sie sich ihrem Vater widersetzen, würde sie sich gegen ihn erheben und mit dem Mann, den sie liebte, fortgehen.
Am frühen Abend fuhr Susannah Carolyns lange Auffahrt aus Kies hinauf. Wie durch ein Wunder legte sich ihr Unbehagen schlagartig. Sie hatte dieses Haus schon geliebt, als sie noch ein Teenager war. Es schmiegte sich an die Ausläufer der Berge. Vor dem Gebäude erstreckte sich eine saftiggrüne Rasenfläche, die von einer Reihe Bäume begrenzt wurde und in eine sanft geschwungene Wiese mündete. In diesem Haus hatte sie viele Nachmittage mit Carolyn verbracht. Sie hatten zusammen Musik gehört, aus dem Fenster ihres Schlafzimmers im ersten Stock geschaut und die Tiere beim Grasen beobachtet.
Es war ein zweigeschossiges Gebäude mit braunen Schindeln und einer weitläufigen Veranda. Unzählige Rosen blühten in den Beeten vor dem Haus. Es war schade, dass Carolyns und Susannahs Mütter nie Freundschaft geschlossen hatten, obwohl sie beide die Gartenarbeit so sehr liebten. Rechts neben dem Haus befand sich ein asphaltierter Platz, auf dem stilvolle Gartenmöbel zu
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