Gartengeschichten
Parkfachmann.
Manchmal werden die herrschaftlichen Gärten fürs Publikum geöffnet. Das trägt zum Unterhalt ebenso bei wie zur Unterhaltung. Ich habe mir oft vorgestellt, wie man sich fühlt, wenn einem dann nach einem volkreichen Wochenende mit besenften Bratwurstpappen, Coladosen und Diebstahlslücken in den Bepflanzungen der Garten wieder gehört. Wahrscheinlich hilft das Zählen der Tageseinnahmen, aber auch die Erinnerung an unzählige Bewunderungsseufzer. Spätestens dann entfaltet der Neid der anderen seine therapeutische Wirkung.
Es könnte sein, daß Todsünden, verpflanzt man sie in einen Garten, nicht nur ihre Bedrohlichkeit und Strafwürdigkeit verlieren, sondern sich ins grüne Ganze gleichsam einfügen, nicht hübsch, aber nützlich – etwa wie Regenwürmer. Zornim Garten ist alltäglich. Zorn zum Beispiel darüber, daß es so viele Unzulänglichkeiten wie Wünsche gibt. Ganz viele Zwiebelblumen wollen wir, fette, üppige Nester. Aber Zwiebeln legen gehört zu den langweiligsten Gartenarbeiten überhaupt. Makellose Rosen ohne Sternrußtau, Läuse oder Kräuselkrankheit wollen wir. Deshalb fallen wir jedes Jahr auf neue Sorten herein und reißen unsere empfindlichen Büsche trotz ihrer Liebenswürdigkeit heraus. Kugelrunde, scharfeckige, hasenförmige oder sonstwie gestaltete Buchse wollen wir – aber finden nie die perfekte Schere.
Die ultimative Buchsschere gibt es nicht, aber um sie geht es in Wahrheit gar nicht. Das wissen wir, und das macht uns zornig. Es geht nämlich um ein ausgestorbenes Gewächs namens Geduld, nach dem wir uns sehnen. Der Gartenzorn ist in Wahrheit Wehmut. Vor unserem inneren Auge erscheinen die grünbeschürzten Gestalten von einst mit Strohhüten und ganz kleinen Scherchen, die geruhsam an der Natur herumschnippelten, Ästchen für Ästchen. Was einst ein Busch war, wurde jahrzehntelang geduldig zur immer perfekteren Kugel, Pyramide, Borromini-Säule geformt. Oder wir sehen die Gärtnerschatten der Vergangenheit, wie sie ganze Kontinente von Zwiebeln legten, geruhsam und nachdenklich Läuse abstreiften und kranke Rosenblätter abknipsten.
Zornig und traurig macht auch das Wissen, daß nichts im Garten so aussehen wird, wie die Bilder auf den Samentütchen versprechen. Also ist der Zorn eine Art Gärtnerpubertät. Man muß durch, aber irgendwann wird sie vorbei sein. Dann werden wir gelernt haben, so zu tun, als hätten wir die Ewigkeit auf ein paar Quadratmetern eingefangen, alle Zeit und Geduld der Welt ist unser: Ästchen für Ästchen, Zwiebel für Zwiebel, Samenkorn für Samenkorn.
Sonderbar ist es, daß Zorn und Neid nur sehr seltenaufkeimen, wenn es um die Größe des anvertrauten Stücks Erde geht. Weder habe ich je jemanden klagen hören, weil ihm seins zu groß, noch, weil es ihm zu klein sei. Nur das Alter läßt manche Gartenbesitzer, besonders die verwitweten, über zuviel Arbeit und Verantwortung seufzen. Aber verlieren wollen sie ihren Garten dann doch nicht. Und lassen lieber ein paar Fremde hinein, zum Pflanzen und Ernten. So sind statt vergeblichem Neid und Zorn schon schöne Freundschaften entstanden.
Die nächste der Todsünden ist ein bißchen heikel. Wollust. Bei dem Wort denkt man nicht als erstes an Erdbeerbeete oder Rosenrabatten. Auch nicht an das, was in einer Gartenlaube geschehen könnte, das wäre zu simpel. Wollust ist eine nicht über lange Zeit erträgliche Empfindung, ein Gipfel, wie hoch auch immer – aber eine Sünde, gar eine Todsünde? Gottes Stellvertreter hatten zu allen Zeiten etwas gegen die Vorwegnahme des Paradiesischen auf Erden. Denn wenn sich das Paradies schon hienieden, wenn auch nur für kurze Zeit, finden läßt, verlieren Jenseitsversprechungen ihren Reiz. Das ist das Problem. Gartenwollust hat viele Gesichter, keins davon scheint aber so richtig sündig.
Vielleicht ist Gartenwollust das kurze und wunderbare Gefühl: Etwas Besseres kann es nicht geben. Dieser Moment, dieses Zusammenspiel aus Duft und Sonne, aus Wohlbefinden und dem Geschmack von Basilikum und selbsterschaffenen Tomaten: der Gipfel. Der ist wahlweise auch erreichbar durch Erdbeerkuchen mit Rosenduft, neuen Wein unter einem Holunderbaum bei milder Sonne und hundert andere glückliche Verbindungen. Sie sind nur die äußeren Wollustvoraussetzungen. Die inneren sind: Das Universum und der Gärtner oder die Gärtnerin sind für kurze Zeit eins. Ganz bei sich angekommen. Von niemandem ermahnt, angeleitetoder begutachtet. Einfach glücklich. Mag sein,
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