Gartengeschichten
dann noch da verloren?
So schlimm kommt es dann natürlich nicht, irgendeine Ordnung gibt es schon, auch Abschiede, wenn auch meinerseitsnie ganz ohne schlechtes Gewissen. Wer je gesehen hat, wie wunderbar sich die Wildnis in großen Gärten und Parks ausnimmt – die blauen Teiche aus Szylla, mit rosa Nesseln und weißen Anemonen betupft, in irgendwelchen Schloßgärten –, wünscht sich das gleiche. Aber im bürgerlichen Gärtchen siedeln sich eher die Unverschämten an und machen sich so breit, daß wir eingreifen müssen.
Auf großen Flächen ist selbst die gröbste Vegetation schön. In der Natur hat das einheitliche, das zahlreiche Auftreten einer Spezies immer einen besonderen Reiz. Selbst Brombeeren mit ihren blühenden und mörderischen Dornröschenhecken sehen prächtig aus. Zartlila wehende Weidenröschen, Kamille, ja, auch Hahnenfuß – schreckliche Gartengäste, aber eigentlich sollten sie willkommen sein.
Und übersieh mir nicht / Zwischen den Blumen das Unkraut, das auch / Durst hat. So befiehlt der Dichter Bertolt Brecht. Und der wußte: Wer kein Herz für diese Gäste hat, ist nicht wirklich ein Gärtner, wie Gott ihn liebt.
Marianne
»Um halb sechs kniete ich im Regen und grub und pflanzte.«
Uwe Johnson
Marianne, die berühmte Gärtnerin, war im Januar 2007 gestorben und hatte mir einen Sekretär mit Inhalt vermacht. Über den Inhalt wurde eine Menge gemunkelt, nein, nicht über Goldbarren oder Juwelen, sondern über einen brisanten Briefwechsel mit einem berühmten Mann. Sie selber hatte in der ihr eigenen sanft verrätselten Art dem Gerücht immer wieder Nahrung gegeben – sie liebte es, Legenden zu spinnen. Und nun saß ich vor dem schönen Möbel voller Papier und war sehr neugierig. Daß sie mir das Ding vererben würde, hatte sie vor Jahrzehnten versprochen, als ich ihr einen Empirelüster vom Flohmarkt geschenkt hatte. Er war ein gutes, etwas verstrubbeltes Stück und paßte bei mir nicht rein. Bei ihr sah er richtig herrschaftlich aus. Du bekommst den Sekretär dafür, wenn ich tot bin, sagte sie. Nun war sie gestorben und hatte ihr Versprechen wahrgemacht. Aber der ominöse Briefwechsel mit dem berühmten Mann ist leider bis zum heutigen Tag nicht aufgetaucht. Statt dessen fand ich zwischen Staudenkatalogen aus den siebziger Jahren, knallbunten chinesischen Neujahrskarten und Unmengen von Notizen in ihrer kalligraphischen, altmodischen Schrift einen Brief Uwe Johnsons vom 5. Juli 1982, der mich nicht mehr losließ.
Marianne hatte den bekanntesten und besten Blumenladen unserer Stadt besessen, mit ihrem früh verstorbenen Mann zuerst, dann allein. Die dazugehörende Gärtnerei hatte sie verkauft, in ihrem Laden stand sie noch, obwohl siemittlerweile als Autorin bekannt geworden war. Schreiben und Blumen verkaufen ist keine schlechte Mischung, dachte ich jedesmal, wenn ich sie sah, eine sehr große, etwas gebeugte Frau mit kurzen Haaren und kurzsichtigem, forschendem Blick. In ihrem Laden war sie eine Art Blumengeneralin, die ihren Kunden leise, aber nachdrücklich den schlechten Geschmack ausredete. Sie liebte es, zu wissen, zu welchem Anlaß, für welchen Menschen ein Strauß gedacht war. Man konnte wunderbar mit ihr darüber reden, und ihr Buch Sträuße aus meinem Garten wurde wahrscheinlich nicht zuletzt deswegen ein großer Erfolg. Im besten Fall ist eine Floristin wie jene Briefschreiber in orientalischen Basaren, die die Kunst der Verführung besser beherrschen als ihre Klienten.
Ich stand oft bei ihr im Laden, gab vor, mich nicht entscheiden zu können und hörte Kundengesprächen zu. Nicht selten kamen Männer und sagten den erstaunlichen Satz: Ich hätte gern einen Blumenstrauß.
Wirklich! antwortete Marianne liebenswürdig.
Danach dauerte es nicht lange, und sie erfuhr alles über Empfängerin, Anlaß für den Strauß oder auch Ausmaß des schlechten Gewissens.
Sie war eine Art Biographin in Blumen. Geburt, Liebe, Krankheit, Genesung, runde Geburtstage, Trennung, Versöhnung, schließlich der Tod: Alles hat seine Blumen. Wenn für eine Beerdigung etwas Schräges gewünscht wurde, war sie begeistert. Der Tod setzt die Diktatur des guten Geschmacks außer Kraft, und so zeigte sie mir eine monströse Gitarre ganz aus weißen Rosen, die für einen in jungen Jahren hingeschiedenen Kneipier gedacht war.
Großartig, nicht?
Natürlich meinte sie damit nicht die tadellose floristischeArbeit, die war selbstverständlich, sondern das erzählerische Potential.
Schau mal, da
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