Gartengeschichten
Vernichtungsmitteln, Feuer und Schwert. Bethlehemitischer Kindermord im Garten. Geschichten von Feldzügen sind immer langweilig, und Erörterungen von Strategien bringen jeden normalen Menschen zum Gähnen. Deswegen nur soviel: Der Kampf dauerte fünf Jahre und kostete Zeit, Kraft, Phantasie und Nerven, Geld auch, man fällt als Gärtner noch öfter auf Wundermittel herein als normale Menschen. Letztlich blieb ich siegreich. Vorläufig.
Wie bezaubernd ist es angesichts solcher Kolonisierungsversuche, wenn etwas von uns und unserem kleinen Stück Erde Besitz ergreift, das wir gewiß nie wieder gehen lassen, auch wenn es nie dort ist, wo wir es haben wollen. Zum Beispiel Akeleien und Vergißmeinnicht. Von beiden gibt es viele Sorten, ich finde die dunkellila Akeleien am schönsten, die etwas Kardinalartiges haben, so würdevoll auf ihren hohen Stengeln. Bei den Vergißmeinnicht kann ich nicht entscheiden, welche ich lieber mag: die großen Schlanken oder die kleinen Dicken. Eigen ist allen, daß sie mit ihrer Platzwahl überraschen, und das wirft immer wieder die Frage nach der Autorität des Gärtners auf. Grenzen setzen! heißt der Schlachtruf der einen Seite. Freiheit! ruft die andere. Und dann ist da die große Mehrheit, die mal so, mal so entscheidet. Und immer zweifelt, ob die Entscheidung richtig war. Ich kenne sehr bedeutende Gärtnerinnen, denen es nichts ausmacht (es scheint ihnen geradezu Lust zu bereiten), auch vielversprechende Pflänzchen unnachsichtig von dem Platz zu entfernen, der ihnen nicht zugedacht war. Denen gelingt es auch, eine tadellos buschige Vergißmeinnichtrabatte wie eine Pelzstola um das noch kahle Rosenbeet zu legen oder ein kreisrundes Beetmittelstück mit gleich hohen, diszipliniert dichtstehendenAkeleien hinzukriegen. Bei mir sind die Akeleien mitten in der Buchsbaumeinfassung, in diversen Töpfen, wo sie nichts verloren haben, zwischen Trittsteinen, ganz hinten im Beet, wo man sie kaum sieht, oder ganz vorne, wo sie die Semperviven verdecken. Und die Vergißmeinnicht sind buchstäblich überall. Ich kann nämlich so ein Pflänzchen, bei dem ich sehen kann, was es werden will – und bei Vergißmeinnicht und Akeleien kann man das sehr gut sehen –, nicht einfach rausreißen. Ich kann Brennesseln töten und noch einiges andere – aber die nicht. Das wissen sie und machen sich breit, und ich entschließe mich, sie liebzuhaben, ganz gleich, wo sie auftauchen. Man darf nur nicht den Fehler machen, ihnen einen Platz zu bereiten und zu denken, man könne sich auf ihr Kommen im nächsten Jahr verlassen. Sie werden ganz woanders auftauchen. Für dominante Garteninhaber, dazu gehören die Besitzer von Designergärten notgedrungen, sind diese Pflanzen eine stete Bedrohung. Sie erinnern nämlich an die Schönheit, die sich der Zähmung entzieht und einfach macht, was sie will.
Um es gleich zu sagen: Es gibt keine Garten-Supernanny, die einem sagt, was falsch oder richtig ist. Angesichts des eigenen Flecks Erde muß man selber entscheiden, und das ist nicht leicht. Wenn man sich von allem, was hübsch aussieht und so quicklebendig ist, an der Nase herumführen ließe, hätte man keinen Garten, sondern nur ein Grundstück. Wenn andererseits kein fremder Gast in der streng komponierten Ordnung geduldet wird, hat man auch keinen Garten, sondern ein Denkmal oder eine Zwangsjacke. Was ist zu tun? Erst einmal muß man alles genau anschauen. Was ausgerissen werden soll, hat ein Recht auf Wahrnehmung, finde ich. Gelegentlich entstehen echte Freundschaften mit solchen Todeskandidaten. So zum Beispiel wird man die weiß blühendeGänsekresse, die über einen ungezügelten Fortpflanzungstrieb und einen großen Ideenreichtum hinsichtlich ihrer Ortswahl verfügt, eines Tages nicht mehr missen wollen. Die halb erfrorene Chrysantheme im Topf? Kein Problem, die Gänsekresse hat sie längst mit einem weißen Schleier bedeckt. Das von Schnecken kahlgefressene Staudenbeet? Während uns noch Wut und Mordlust fest im Griff haben, macht sich erst einmal die Gänsekresse hübsch, die Schnecken scheinen sie nicht zu mögen, und sie gibt willig die Zweitbesetzung, bis uns etwas anderes für das Beet eingefallen ist. Dann verschwindet sie ohne Groll. Im Gegensatz zum Scharbockskraut hat sie nichts Gewalttätiges, sondern siedelt sich immer genau da an, wo sie uns einen Gefallen tut. Sie läßt im Verschwinden auch nicht Massen von häßlich gelben Blättern zurück, sondern ist eines Tages einfach weg. Adieu bis zum
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