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Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Titel: Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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ihre Hand floss und bis tief in ihr Innerstes vordrang. Ihre Lider begannen zu flattern.
    »Sprich mit mir, bitte«, sagte sie laut in die Stille des Raums hinein. Mit äußerster Konzentration versuchte sie, die undeutlichen Bilder festzuhalten, Momentaufnahmen, die kurz aufleuchteten und ihr wieder zu entgleiten drohten, kaum dass sie sie wahrgenommen hatte.
    Tiefer schauen, als es mit dem Verstand möglich ist. Das war ihr Ziel.
    Sie starrte in die Flamme der Kerze im Silberleuchter, die auf dem schwarzen Tuch wie auf einem Altar stand. Die Flamme spiegelte sich flackernd im Glas des gerahmten Fotos, das eine lachende, junge Frau mit braunen Wuschellocken zeigte, die ihr bis auf die Schultern fielen.
    Davinas Herz klopfte in leiser Erregung, die sich nach und nach zur Euphorie steigerte.
    Die Tür hatte Davina vorsorglich abgeschlossen. Ihr Zimmer war ihr Refugium, zu dem sie niemandem Zutritt gewährte. Ihr Nest, ihre Höhle. Ein Raum, in dem sie mit sich und der Vergangenheit allein sein wollte.
    Der Duft von Räucherkohle lag schwer in dem dämmrigen Raum.
    Zum wiederholten Male sprach sie mit geschlossenen Augen die magischen Worte, die wie eine Melodie aus einer fernen Zeit klangen: »Komm zurück, du, die du mir so nahe warst. Böser Wind hat dich fortgetrieben in unendliche Weiten. Komm zurück, du, mein Hunger, mein Durst, mein Honig, mein Wasser, mein Brot … Du, die du mir nah bist an allen Tagen und doch so fern …« Murmelnd reihte sie Wortketten aneinander, in die sie all ihre positive Energie legte.
    »Man muss den Wunsch materialisieren«, hatte Mario gesagt und hinzugefügt: »Nicht jeder hat die Gabe einer solch starken Vorstellungskraft, aber du kannst ja mal versuchen, ob es dir gelingt. Man braucht eben schon einiges an Erfahrung. Das Hexenauge ist wichtig. Aber das Ganze kann nur gelingen, wenn du dich vollkommen mit Herz und Seele auf diese eine Sache einlässt.«
    Mit schräg geneigtem Kopf lauschte sie dem Widerhall ihrer Worte, wiederholte sie noch einmal wie ein Gebet und spürte, wie sie eine betäubende Wirkung entfalteten.
    »Komm zurück, du, die du mir so nahe warst …« Ihre Brust bebte, ihr Atem ging flach.
    Mit einem Mal begann die Luft zu sirren. Ein undeutliches Bild schwebte heran. Es entstanden immer mehr Bilder, zunächst grobkörnig und schattenhaft, dann immer klarer werdend zeichneten sich Konturen ab. Bild reihte sich an Bild und fügte sich zu einem Film zusammen, von dem Davina regelrecht gefangen genommen wurde.
    Vor einem hellen Hintergrund stehen Menschen um ein Karussell mit einem Goldrandhimmel herum. Es riecht nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte. Jemand setzt ein Kind auf ein bunt bemaltes Pferdchen. Das Kind ist Davina.
    Sie ist noch klein, trägt eine weiße Strumpfhose, schwarze Lackschuhe und ein rotes Mäntelchen. Auf ihrem Rücken kringeln sich dunkle Locken. Und um ihren Hals hängt ein Lebkuchenherz an einem roten Band. Die Hände, die sie hochgehoben haben, lassen sie los. Ängstlich krallt das Kind seine Händchen in die hölzerne Pferdemähne. Musik ertönt, und das Pferdchen beginnt, im Kreis zu traben.
    Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er.
    Das Kind erschrickt furchtbar und verzieht das Gesicht, als es seine Mama nicht mehr sieht. Alle möglichen Leute stehen um das Karussell herum, große und kleine, Erwachsene und Kinder. Aber seine Mama ist verschwunden.
    »Mama, wo bist du?«
    Tränen kullern über sein Gesicht. Es schluchzt laut auf.
    Da, da ist sie wieder. Die Mama ist gar nicht weg. Das Kind hat sie nur nicht gesehen, weil es im Kreis geritten ist. Mama steht immer noch an der gleichen Stelle und winkt ihrer kleinen Tochter lachend zu. Die bunten Glasperlenschnüre an ihren Armen rutschen auf und ab, und ihre braunen Augen fragen: »Na, ist das nicht schön?«
    Sofort vergeht das Weinen und macht einem fröhlichen Lachen Platz. Das Kind sitzt auf dem Rücken des weißen Pferdes mit den schwarz gemalten Augen, das weiter im Kreis tanzt. Im Rhythmus der Leierkastenmelodie wippt das Pferdchen auf und ab. Das Kind muss nicht traurig sein. Mama ist ganz nah bei ihm. Nach jeder Runde taucht sie auf, verschwindet und ist sofort wieder da. Es ist wie beim Schließen der Augen, wenn sich die Welt kurz im Dunkeln verflüchtigt in der Gewissheit, dass sie beim Öffnen der Lider hell erleuchtet zurückkommt, unverändert und genau so wie zuvor.
    Ein Schatten huschte durch das Zimmer. Die Erinnerung, die eben noch so konkret war,

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