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Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Titel: Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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Flatterärmel bauschten sich mit jeder Bewegung. Im Zimmer hing der Duft von Räucherkohle, die in dem Räuchergefäß, das sie kürzlich in einem Koblenzer Geschäft gekauft hatte, vor sich hinglimmte. Ein Geruch, der an Mamas Räucherstäbchen erinnerte und der ihr in intensiven Momenten so etwas wie Geborgenheit vermittelte.
    Sie fasste unter das Bett und zog die kleine Holzkiste hervor. Es roch ein wenig muffig, als sie den Deckel hob. Ein vertrauter Geruch nach Vergangenheit und Vergänglichkeit. Fotos lagen in der Kiste. Ein paar Bücher. Briefe und Zettelchen. Die Glasperlenschnüre und das Haarband ihrer Mutter. Zerbröselte Reste von einem getrockneten, vierblättrigen Kleeblatt. Das hatte Mama gefunden und in ein dickes Buch gelegt, um es zu pressen. Als es getrocknet war, hatte sie es Davina geschenkt: »Das soll dir Glück bringen.«
    Sie nahm einzelne Fotos heraus, die bereits ziemlich abgegriffen waren. Mama strahlend vor Glück mit einem kleinen rosa Bündel im Arm. Das Bündel war sie, Davina.
    Mama lachend am See. Zusammen mit Davina. Da war sie vielleicht zwei oder drei Jahre alt. Mama, die den Arm hob und jemandem zuwinkte. Mama und Opa, wie sie aneinandergeschmiegt auf dem Sofa saßen. Opa hatte den Arm um Mama gelegt, während Mama seine Hand umfasste. Da war Opa schon ziemlich krank gewesen.
    Mama und Davina unterm Weihnachtsbaum. Davina hielt eine große Puppe in der Hand, die ein Rüschenkleid trug.
    Sie dachte daran, wie sehr sie sich ein Geschwisterchen gewünscht hatte. Und wie sie dem Storch, der angeblich die kleinen Kinder brachte, unermüdlich Zuckerwürfel auf das Fensterbrett gelegt hatte. Doch es kam niemals ein Storch angeflogen mit einer Schwester im Schnabel, die sie hätte lieb haben können.
    Die Puppe, die ihr Oma zu Weihnachten schenkte, sollte wohl so eine Art Ersatz sein. Die Puppe hatte eine kühle Kunsthaut und ein starres Lächeln. Davina mochte sie nicht und sperrte sie in den Schrank.
    »Das ist böse«, sagte Oma. »Und böse Mädchen mag niemand leiden. Böse Mädchen kriegen nie einen Mann. Und du willst doch mal heiraten und Kinder kriegen später, oder?«
    »Was erzählst du dem Kind für einen Schwachsinn«, sagte ihre Mutter. »Hör bloß nicht hin, Davina.«
    Und Opa sagte: »Was müsst ihr euch denn immer streiten? Könnt ihr nicht einmal an Weihnachten friedlich miteinander umgehen?«
    Sie schloss die Augen. Versank immer tiefer in der Vergangenheit.
    »Mama, ich hätte so gern eine Schwester. Warum bekomme ich keine Schwester?«
    Mama lachte ihr dunkles Lachen. »Warum ist die Banane krumm? Schwestern nerven nur. Komm, ich les dir eine Geschichte vor. Oder soll ich dir was auf dem Klavier vorspielen?«
    Wenn Davina sich stark konzentrierte, sich ganz dem Augenblick hingab, fühlte sie Mamas Arme um sich, die sie festhielten und wiegten.
    »Du bist meine kleine Zigeunerprinzessin. Und du bist etwas ganz Besonderes«, flüsterte Mamas Mund nah an ihrem Ohr. »Wir bleiben immer zusammen, wir beide. Uns kann nichts trennen. Daran musst du ganz fest glauben.«
    Der Vogel am Himmel, der sich immer weiter wegbewegt hatte in ein Universum, das jenseits der Sichtbarkeit lag, war nicht mehr wahrnehmbar.
    Warum gelang es nicht, die wichtigen Dinge festzuhalten? Warum konnte man nicht die Zeit anhalten? Warum verschwand alles, bevor man es noch recht begriffen hatte?
    Davina spürte, wie die Tränen hervortraten und langsam ihre Wangen hinunterrollten.
    »Mama, wo bist du?«, flüsterte sie. »Wann kommst du denn endlich?«

22
    Hunderte von Erinnerungen stürmten auf Franca ein, als sie durch das kleine Gartentor trat und den schmalen, mit Waschbetonsteinen ausgelegten Pfad entlanglief. Hier in diesem Haus mit der hohen Ligusterhecke im Koblenzer Stadtteil Pfaffendorf war sie aufgewachsen. Ein Hort absoluter Geborgenheit.
    Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Hier kannte sie jedes Zimmer und jeden Winkel. Und jedes Türknarren war ihr vertraut. Die gerüschten Vorhänge in den Fenstern waren seit jeher die gleichen. Nur die Blumentöpfe auf den Fensterbänken wurden ab und an ausgetauscht, wenn eine der langjährigen Pflanzen eingegangen war.
    Ansonsten hatte ihre Mutter alles so belassen wie vor dem Tod ihres Vaters, der schon länger als dreißig Jahre zurücklag. Und noch immer stand sein Name auf dem von Patina überzogenen Messingschild neben der Klingel. Francesco Mazzari.
    Die Haustür öffnete sich mit einem leichten Scharren. Im Türspalt erschien die

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