Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
immer gekümmert.« Sie fuhr mit der Hand durch die Luft. »Vielleicht habe ich auch nicht alles richtig gemacht, aber …« Hilflos brach sie ab.
»Wenn das alles so schwierig für Sie war, warum haben Sie Davina nicht in ein Heim gegeben?«
Wieder setzte das mechanische Nicken ein. »Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte nicht daran gedacht.« Frau Kayner hatte ihre Hände im Schoß gefaltet. Es sah aus, als bete sie. »So was macht man ja auch nicht einfach so. Ich weiß ja, dass sie furchtbar gelitten hat. Ich habe bestimmt nicht vergessen, was es bedeutet, die Mutter so früh zu verlieren, und wie schlimm das gerade in solch einem Alter ist. Man hat ja doch eine große Verantwortung. Und es ist ja auch immer irgendwie weitergegangen.«
Eine Weile herrschte Schweigen.
»Haben Sie in all den Jahren nichts getan, um Ihre Tochter ausfindig zu machen?«, fragte Franca.
»Was hätte ich denn tun sollen?« Nicht nur ihre Stimme, ihre gesamte Haltung drückte Resignation aus. »Wo hätte ich denn anfangen sollen? Die Polizei hat ja auch nichts herausgefunden. Und selbst wenn wir Patricia gefunden hätten, sie wäre ja doch nicht mehr zu uns zurückgekommen.« Sie löste die gefalteten Hände, strich sich mit knittrigen Fingern über ihren Rock und nahm einen imaginären Fussel ab. »Sie hatte so einen Spleen. Frei sein wollte sie. Sich von nichts und niemandem Vorsch riften machen lassen. Mit dieser Haltung ist sie natürlich überall angeeckt.«
»Was hat Ihre Tochter denn beruflich gemacht?«
»Sie hat alles Mögliche angefangen und nichts zu Ende gebracht. Nirgends ist sie lange geblieben. Schließlich hat sie in einem Schnellkurs Kosmetikerin gelernt. Da konnte sie wenigstens einen Abschluss vorweisen. Danach hat sie kurz diesen Beruf ausgeübt. Für so einen Hungerlohn würde sie nicht arbeiten, meinte sie. Als ob sie es sich hätte aussuchen können. Ich weiß nicht, was sie gemacht hat. Oft ging sie nachts weg. Sie sagte, sie kellnert. Aber ich glaube, es war was anderes.«
Franca suchte ihren Blick. »Sie meinen, sie hat sich prostituiert?«
»Ich weiß es nicht genau.« Frau Kayner hob die Schultern. »Sie hat mit m ir nicht darüber geredet. Aber Geld hatte sie immer genug. Und da macht man sich dann so seinen Reim drauf, nicht wahr?«
»Hat Ihre Tochter immer hier bei Ihnen gelebt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ganz früh ist sie ausgezogen. So mit sechzehn, siebzehn, weil wir immer aneinandergeraten sind. Lange Zeit wussten mein Mann und ich gar nicht, wo sie war. Erst viel später haben wir erfahren, dass sie in verschiedenen Wohngemeinschaften gelebt hat. Nach Jahren ist sie eines Tages wieder hier aufgekreuzt, mit dickem Bauch, und hat gefragt, ob sie bei uns wohnen kann. Damals hat mein Mann noch gelebt. Im Nachhinein denke ich, sie ist gar nicht unseretwegen gekommen, sondern sie hat nur einen Babysitter gebraucht.«
Auf einmal veränderte sich ihr Gesichtsausdruck um Nuancen. Ihr Blick wurde hart. »Warum fragen Sie mich das alles?«
»Wir sind dabei, die alten Vermisstenfälle zu überprüfen«, sagte Franca. »Ist Ihre Enkelin zu sprechen? Uns würde natürlich auch interessieren, wie sie das Ganze erlebt hat.«
Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo sie ist.« Sie verstummte. Dann fügte sie zögerlich hinzu: »Sie sagt mir nie, wo sie hingeht.«
»Ke nnen Sie ihre Freunde?«
Sie senkte den Blick. »Ich weiß überhaupt nichts mehr von ihr.«
Franca stutzte. »Aber Sie leben doch hier zusammen!«, rief sie.
»Wir leben in einem Haus, ja, aber nicht zusammen.«
Eine alte Frau und ein junges Mädchen in einem kleinen, düsteren Haus. Da ist so viel Schweigen. Und das Bindeglied zwischen den beiden ist seit zehn Jahren verschwunden.
»Könnte ich mir mal Davinas Zimmer ansehen?«
Franca bemerkte Frau Kayners Zögern.
»Ich gehe da nicht rein.«
»Sie betreten nie das Zimmer Ihrer Enkelin?« Franca schwirrten eine Menge Gedankenfetzen durch den Kopf.
»Sie hat es mir verboten.« Die alte Dame verschränkte die Arme vor der Brust. »Muss sie eben selber aufräumen und sauber machen.«
»Dürfte ich?« Franca erhob sich. »Wo ist es?«
Hintereinander gingen sie die Treppe hoch. Es war eine Holztreppe, die bei jedem Schritt knarzte.
Franca drückte die Klinke herunter. Die Tür war nicht abgeschlossen. Ein ganz normales Mädchenzimmer. Zwei schmale Fenster mit Blick auf den Garten und die Nachbardächer. Davor bunt gemusterte Vorhänge. Das Bett
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