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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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auf den er stolz sein konnte.
    Und so geschah es, daß der todtraurige Pfadfmderführer Oscar Hill zweiundzwanzig Jahre nach dem Sündenfall eine größtenteils aus Mädchen (Mädchen!) bestehende Rotte nicht durch einen undurchdringlich jungfräulichen Urwald, auch nicht über die sanft gewellten Ausläufer eines majestätisch aufragenden Berges, sondern entlang einer müllübersäten Seitengasse in einem der dreckigsten Industrieviertel Brooklyns begleitete. Adler-Scout Melissa Plunkett bildete die Vorhut; sie schwenkte einen selbstgebastelten Geigerzähler vor sich her, während sie die Gasse hinuntermarschierte, doch soweit feststellbar, befanden sich in der unmittelbaren Umgebung keinerlei tödliche Strahlungsquellen. Stern-Scout Aubrey Denton hatte schon mehr Glück: Die Bodenproben, die sie aus Rissen im Asphalt herauskratzte, wiesen hohe Konzentrationen von Blei, Quecksilber und anderen Schwermetallen auf, die, wie sie ihren Kameradinnen vergnügt versicherte, wenn sie in den Organismus gelangten, schmerzhafte Malignome verursachen konnten. Die Ober-Scouts Peggy Gates und Lucinda Mendez waren schon zu abgebrüht, um sich von derlei beeindrucken zu lassen, aber sie wurden schlagartig munterer, als Melissa Plunkett ein dreiköpfiges Eichhörnchen sichtete, das auf einem geborstenen Biomüllcontainer hockte. Als das Eichhörnchen seine sämtlichen sechs Augen auf Oscar Hill heftete, nickte Oscar.
    »Jawoll«, sagte er, »jawoll, genau, so weit sind wir gekommen.«
    Oblio Watties, das Rottengreenhorn, bildete die Nachhut.
    Oblio war, biologisch betrachtet, ein Junge, aber nach Oscars Maßstäben zählte er nicht. Zum einen behauptete er, in Mos-cow, Pennsylvania, geboren zu sein, und Oscar weigerte sich einfach zu glauben, das sei eine echte amerikanische Stadt. Zum anderen sah Oblio mit seiner pummligen Statur, seinem Mittelscheitel und seiner runden Nickelbrille einfach zu sehr wie Theodore Roosevelt aus. Nicht der junge Roosevelt, der an der Spitze der Rough Riders den San-Juan-Hügel erstürmt hatte und einen großartigen Pfadfinder abgegeben hätte, sondern der ältere, fettere Roosevelt, der trotz seines unbestreitbaren staatsmännischen Formats das Musterbeispiel brauchbaren Mannestums darstellte, das aus den Fugen geraten war. Und das erinnerte Oscar natürlich an seine eigene ausufernde Taille -Konfektionsgröße 58, mit steigender Tendenz -, die schlicht nicht zu entschuldigen war.
    Die Rotte bog um die Ecke eines Lagerhauses und stieß auf etwas, das wie ein verlassenes Autowrack aussah. Tatsächlich handelte es sich dabei um Frankie Lonzos Rostlaube, einen 16er Chevy. Melissa Plunkett fing augenblicklich an, das Fahrgestell nach zerfallenden Isotopen abzugeigern, während Aubrey Den-ton Oxydproben von der Beifahrertür herunterkratzte und Peggy und Lucinda, auf der Suche nach interessantem Ungeziefer, den Kofferraumdeckel aufbrachen. Hol euch der Henker, dachte Oscar, von der selbstverständlichen Effizienz angewidert, mit der sie ihren verschiedenen Aktivitäten nachgingen, hol euch allesamt der Henker, ihr solltet euch eigentlich für Korbflechterei und Volkstanz interessieren, ich will Pfadfinder haben —
    Er rief sich zur Ordnung, atmete einmal tief durch und zählte bis zehn. Sein Leben mochte eine einzige riesige Enttäuschung sein, aber er hatte doch noch immer eine gewisse Verantwortung, gewisse Pflichten, die es zu erfüllen galt. »Okay, meine Damen«, sagte er in väterlichem Ton zu seinen unerwünschten Schutzbefohlenen, »Zeit für ein kleines Frage-und-Antwort-Spiel. Nehmen wir einmal an, wir befänden uns kraft eines göttlichen Wunders gerade in den Adirondacks und entdeckten dieses verlassene Fahrzeug am Wegesrand. Was würden wir als verantwortungsbewußte Pfadfinder tun?«
    Melissa Plunlcetts Hand schoß in die Höhe. »Es recyceln?«
    Während der folgenden Diskussion verdrückte sich Oblio, von niemandem bemerkt außer Oscar, der dessen Weggang als ein leichtes Nachlassen des Schmerzes in seinem Busen erlebte. Um die Wahrheit zu sagen, verabscheute Oblio die moderne Pfadftnderei ebensosehr wie Oscar, wenn auch aus anderen Gründen. Oblios Wunsch träum war weder die Waldläuferei noch das City-Survivaling: Seemann wäre er gern geworden. Seine Mutter wollte allerdings nichts davon wissen. »Willst du Hepatitis kriegen wie deine Tante Veruca?« fragte sie ihn. »Mit den ganzen Injektionsspritzen, die da draußen herumschwimmen, heißt das doch wirklich, sich mit voller Absicht

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