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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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hüten, hatte Archie Kerrigan es sich bequem gemacht: den Thermostat auf Arkansastemperaturen gestellt und sich bis auf T-Shirt (weiß, ärmellos) und Boxershorts (gestreift, in den Farben der britischen Konföderation) ausgezogen. In ebendiesem halbentblößten Zustand ging er ans Fenster, um zu sehen, wer da angeklopft hatte. Er schien nicht weiter überrascht zu sein, eine Frau auf dem Sims vorzufinden; er schob das Fenster hoch und bat Joan auf eine Tasse Tee herein. »Ich hoffe, du hast nichts gegen ein bißchen Schweiß«, sagte er und drehte den Thermostat noch eine Stufe höher. Joan hatte nichts dagegen; was dann passierte, war in Anbetracht ihrer Schwäche für weltanschaulich indiskutable Affären mehr als voraussagbar, wenngleich es zum eigentlichen Beischlaf erst bei ihrem zweiten Besuch kam.
    Danach tastete Joan auf dem Nachttisch nach einem Aschenbecher und fand statt dessen ein Taschenbuch. Es war Atlas wirft die Welt ab.
    »Taugt das was?« fragte Joan, während Archie ihr eine leere Bierdose zum Aschen holte.
    »Ist ne nette Räuberpistole«, erwiderte Archie. »Das Beste, was man darüber sagen kann, ist, es bringt so ziemlich jede Gruppierung des politischen Spektrums auf die Palme. Ich hab schon Leute, die H. L. Mencken wie nix wegstecken, wegen Ayn Rand total ausrasten sehen. Viel kontroverser kann man ohne Nacktbilder nicht werden.«
    »Wovon handelt's?«
    »Sag du's mir. Lies es und fmd's selbst heraus.«
    »Kannst du mir nicht vorher wenigstens eine ganz ungefähre Vorstellung geben?«
    »Warum?«
    »Das sind über tausend Seiten, sehr eng bedruckt. Es geht hier um eine erhebliche Investition von Zeit und Mühe.«
    Archie grinste. »Meine King-James-Bibel hat auch tausend
    Seiten, Joan. Die modernisierte Fassung nicht weniger. Würdest du dich auf die Aussage Dritter verlassen, wenn du wissen wolltest, wovon das Buch handelt?«
    »Ich bin katholisch«, gab Joan zu bedenken.
    »Na«, sagte Archie, »dann sei's nicht. Du wirst es nie schaffen, die Welt zu retten, solang du dich auf Sekundärquellen stützt.« Er klopfte mit dem Zeigefinger auf den Umschlag des Paperbacks. »Friß dich durch.«
    Und so, angestachelt von Amors zartem Pfeil, schlug sie Rands Buch auf Seite eins auf und fing an zu lesen.
    Atlas wirft die Welt ab war ein-Zukunftsroman. Er handelte nicht von der Zukunft, wie sie sich inzwischen wirklich ereignet hatte, sondern von der Zukunft, wie sie in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts existiert hatte, im Hinterzimmer der kalifornischen Ranch, in dem Ayn Rand die ersten von vielen, vielen Wörtern niedergeschrieben hatte. Eine ganz und gar andere Zukunft ...
    Die Menschheit taumelte am Rande der Apokalypse. Der Altruismus - der Glaube, die Bedürfnisse der Gesellschaft seien wichtiger als die Rechte des einzelnen - hatte die ganze Welt überrollt und alle Nationen in totalitäre Staaten verwandelt. Alle außer einer: Allein in einer Welt der Volksrepubliken, hielten die Vereinigten Staaten noch immer die Fackel der Freiheit und der individuellen Leistung empor; doch selbst in Amerika gewannen die Kollektivisten zunehmend an Einfluß.
    Die Kollektivisten, die Teufel der gewaltigen Moralität, die im Begriffstand, sich vor Joans Auge zu entrollen, zeichneten sich in erster Linie durch die dämlichen Namen aus, mit denen ihre Familien sie gestraft hatten: Wesley Mouch, Balph Eubank, Claude Slagenhop, Orren Boyle, Tinky Holloway, Bertram Scudder. Sie waren von abstoßendem Äußeren, entweder aufgeschwemmt oder spindeldürr, mit schütterem Haar, ungepflegt, hatten eine unreine Haut und schlechten Atem. Auch geistig hatten sie äußerst wenig zu bieten; obwohl viele von ihnen das College besucht hatten, hatten sie dort nichts anderes gelernt, als daß es nichts gab, was ihrer Meinung nach zu lernen wert gewesen wäre. Sie wählten sich nutzlose oder parasitische Berufe aus und »arbeiteten« etwa als öffentlich bedienstete Bürokra-ten, Lobbyisten, Finanzbeamte, Unternehmensberater, staatlich subventionierte Wissenschaftler und Erbsenzähler, platonische Philosophen, sozialistische Wirtschaftswissenschaftler, moderne Künstler, Satiriker, Skandalblattreporter, Ökologen, Astrologen, Sozialarbeiterinnen usw., usw. Bar jeden eigenen schöpferischen Talents, sittlich zu abgewrackt, um echte Zufriedenheit empfinden zu können, strebten die Kollektivisten danach, jedes Anzeichen von Können oder Erfolg, das sie bei anderen feststellten, zu bestrafen; daher ihr Eintreten für

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