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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Spinnerin ist - aber eine unterhaltsame Spinnerin.« Joan sah sich das Umschlagfoto noch einmal an. »Sie lebt nicht mehr, oder? Ich würd sie wahnsinnig gern reden hören ... oder noch besser, eine hübsche lange Diskussion mit ihr führen.«
    »Und ich würd direkt Eintritt zahlen, um mir die Debatte anhören zu können«, sagte Archie, der das Funkeln in Joans Augen gesehen hatte. »Aber du hast sie knapp verpaßt. Sie ist 82 gestorben, im selben Jahr, als du geboren wurdest.«
    »Lungenkrebs?« tippte Joan. Der Tabakanbau war eine von Atlantis' ersten und wichtigsten Industrien gewesen.
    »Sie ist wegen Lungenkrebs operiert worden, aber ich glaube, es war das Herz, woran sie schließlich gestorben ist.«
    »Und wie alt war sie da?«
    »Siebenundsiebzig, achtundsiebzig, so um den Dreh rum.«
    »Wenn sie also 82 siebenundsiebzig war, dann dürfte sie, äh -«
    »1905«, sagte Archie. »Sie wurde in Sankt Petersburg geboren. Eigentlich hieß sie Alice Rosenbaum, und ihr Papa, Fronz, hatte eine Drogerie, die 1917 von den Bolschewiken verstaatlicht wurde. Die Familie tauchte unter und hielt sich ein paar Jahre lang auf der Krim versteckt, in der Hoffnung, daß die Weißrussen die Revolution zurückschlagen würden, aber Pech gehabt. Schließlich kehrten sie nach St. Pete zurück und zogen in eine winzige Wohnung in einem Mietshaus, das ihnen früher einmal gehört hatte. Kein fließendes Wasser, kein Strom, und sie mußten sogar ein paar Parteigenossen bestechen, damit sie da überhauptwohnen durften.«
    »Und wie ist ihnen die Flucht nach Amerika gelungen?«
    »Gar nicht«, sagte Archie. »Rand war die einzige, die rausgekommen ist. Um die Mitte der zwanziger Jahre haben die Sowjets die Ausreisebeschränkungen ein bißchen gelockert; sie hat's irgendwie geschafft, einen Paß zu kriegen und die Erlaubnis, irgendwelche seit langem verschollenen Verwandten in Chicago zu besuchen. Hat ihre Koffer gepackt, ihren Leuten leb-wohl gesagt und ist nach den Staaten abgedampft.«
    »Und nie wieder zurückgekehrt.«
    »Genau.«
    »Hat sie ihre Familie je wiedergesehen?«
    »Eine Schwester, fünfzig Jahre später. Ihre Eltern und ihre andere Schwester kamen im Zweiten Weltkrieg um, während der Belagerung von Leningrad.«
    »Hm.«
    »Was Rand angeht - sie hatte schon mit neun Jahren beschlossen, daß sie Schriftstellerin werden würde. Einer ihrer Chicagoer Onkel besaß ein Kino, also verbrachte sie ihre ersten paar Monate in den Staaten vor der Leinwand, sah sich Stummfilme an, lernte Englisch aus den Zwischentiteln, und als sie meinte, genug aufgeschnappt zu haben, um Exposés hinzukriegen, zog sie weiter nach Westen, nach Kalifornien, um ihr Glück als Drehbuchautorin zu versuchen.«
    »Einfach so?« sagte Joan. »Grad ein paar Monate vom Schiff runter, und sie -«
    »Hey«, sagte Archie, »es hat hingehauen. Sie war noch keine zwei Tage in Hollywood, da hat Cecil B. DeMille sie gesehen, wie sie vor dem DeMille-Studio vorbeischlenderte, und hat ihr angeboten, sie auf dem Set seines neusten Films herumzuführen: ein Bibelschinken mit dem Titel King of Kings. Als er erfuhr, daß sie Arbeit suchte, hat er sie als Statistin eingestellt, und später, als King of Kings abgedreht war, als Skriptassistentin.«
    »Die Rand war Statistin in einem Bibelfilm?« Joan lachte. »Was hatte sie denn für ne Rolle?«
    »Römische Aristokratin, glaub ich. Zuschauerin bei der Kreuzigung.«
    »Hmm.«
    »Ja. Und auf dem Kreuzweg hat sie ihren späteren Ehemann kennengelernt. Sie hatte mit dem Schauspieler geflirtet, der den Judas abgab, aber dann sah sie diesen Kleindarsteller in Tunika und Toga, Frank O'Connor hieß der, und verliebte sich auf den ersten Blick in ihn. Während des Drehs von Christi letztem Gang stellte sie ihm kurzerhand ein Beinchen - O'Connor, nicht Christus und so kamen sie miteinander ins Gespräch, und ehe es Abend wurde, hatte sie beschlossen, daß sie ihn heiraten würde, was sie schließlich auch getan hat. Und auf die Art hat sie auch die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen.«
    »Die hat sie sich erheiratet ? Aber hatte sie denn kein politisches Asyl beantragt?«
    »Wir reden von den zwanziger Jahren, Joan«, erinnerte Archie sie. »Die Einwanderungsquote für mittellose russische Juden war eine negative Zahl. Bloß um ein Touristenvisum zu kriegen, hatte sie dem amerikanischen Konsul in Litauen vorschwindeln müssen, sie hätte einen Verlobten in Leningrad.«
    »Heißt das also, daß Ayn Rand eine illegale

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