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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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das glauben, woran Sie zu glauben scheinen, dann ist mir nicht klar, warum sie überhaupt so für die Freiheit des einzelnen eintreten.«
    »Freiheit von jeglichem Zwang ist die unverzichtbare Voraussetzung des Denkprozesses. Kein Mensch kann denken, wenn ihm die Pistole auf die Brust gesetzt wird.«
    »Na schön, aber wenn Sie sagen, Sie hätten diese Philosophie vertreten, solange Sie zurückdenken können, dann klingt es für mich so, als ob Sie in Wirklichkeit meinten, Sie hätten von Geburt an alles gewüßt, was Sie zu wissen brauchten, Sie hätten sich nie geirrt. Und wenn Sie dazu noch erklären, Sie seien der erste Mensch, der seit Aristoteles etwas Neues und Eigenes auf philosophischem Gebiet zu sagen hatte - das ist eine Durststrecke von was, vierundzwanzig Jahrhunderten? -, dann liefern Sie nicht gerade das stärkste Argument dafür, daß es dem Durchschnittsmenschen erlaubt sein sollte, für sich selbst zu denken.«
    »Niemand kann den Menschen zwingen, das Vernünftige anzuerkennen. Das ist eine altruistische Contradictio in adjecto! Der Mensch hat stets die Freiheit, wenn er unbedingt will, die Wirklichkeit zu leugnen - aber wenn er unbedingt will, dann muß er auch die Konsequenzen tragen. Solch ein Mensch hat kein Anrecht auf die Früchte meines Intellekts.«
    »Diese Konsequenzen«, sagte Kite. »Gehört dazu auch -«
    »Mißerfolg«, sagte Ayn Rand. »Die letztliche Folge der Rea-litätsleugnung ist immer der Mißerfolg. Kratzen Sie an einem wertlosen Penner, und Sie entdecken einen irrationalen Menschen.«
    »Hundertachtzigster- Stock«, meldete der Fahrstuhl.
    »Ich glaube, jetzt habe ich Sie verstanden«, sagte Kite.
    Nach Lonny Matsushidas Konstruktionszeichnung würde der fertige Babel fünfhundert Stockwerke haben und einschließlich eines Dachmasts ä la Phoenix eine Gesamthöhe von siebzehn-hundertneunundvierzig Metern erreichen. Momentan war der Turm nur bis zum 18g. Stock vollständig verglast; die Konstruktion des reinen Stahlgerippes war bis zum 228. Stock gediehen. Zu ebendiesem einstweiligen Nonplusultra waren Joan, Kite und Ayn Rand auf der Suche nach Harry Gants Mutter unterwegs: Winifred Gant, Polierin beim Babel-Bauprojekt. Das letzte Stück legten sie - Joan und Kite mit Schutzhelmen bewehrt, die ihnen der Liftboy, ein Automatischer Diener namens Melvin 261, ausgehändigt hatte - in einem offenen Drahtkorb zurück.
    Auf Babels Gipfel hinauf- und dort an ihren jeweiligen Platz - wurden Stahlträger und -streben von Hydrakränen befördert, so genannt, weil sie auf Plattformen montiert waren, die sich mittels Hydraulikbeinen anheben ließen, und so gemeinsam mit dem Turm in den Himmel wachsen konnten. Es gab auch ein dazugehöriges Hydra-Kontroll-Center oder HKC: einen wetterfesten Bunker mit einem Supercomputer, allerlei Uberwa-chungseinrichtungen und einer Kommunikationszentrale, über die Winnie Gant mit jedem Mitglied des Konstruktionsteams ständig in Verbindung stand.
    Natürlich wurden bei dem Bauprojekt viele Automatische Diener eingesetzt, aber Gewerkschaften und Gesetze verlangten, daß ein erheblicher Prozentsatz der Stellen mit Menschen besetzt wurde. Da oben bedeutete das in erster Linie Indianer, New Yorker und kanadische Mohawlcs, deren Gleichgewichtsgefühl und Schwindelfreiheit legendär waren. Der Unterpolier war ein alter Mohawk namens Jim Wolverine, der mit Winnie seit 1975 zusammenarbeitete, seit sie als Schweißerlehrling in der Branche angefangen hatte. Während ihrer ersten zwei gemeinsamen Jahre waren sie ein Liebespaar gewesen - eine Romanze, deren Glut nie ganz erloschen war; irgendwann, bevor Jerry Gant 1978 die Szene betrat, war sogar von Heiraten die Rede gewesen. Manchmal fragte sich Joan, inwieweit Harry -nicht nur hinsichtlich seiner Höhenangst - mit einem indianischen Vater anders geworden wäre.
    »Jimmy«, sagte Winnie Gant jetzt, ein Walkie-Talkie vor dem Mund, »geh rauf nach zwosiebenundzwanzig, Sektor Nordost, sei so gut. Warner 990 ist grad wieder über Bord gegangen.« Einer der Monitore zeigte einen Automatischen Bauarbeiter, der, am Ende eines Sicherungsseils baumelnd, trotz der erheblichen Strecke, die ihn vom Erdboden trennte, in die Kamera lächelte. »Und nachdem du ihn eingeholt hast, schick ihn ins Werk, daß die seine Stabilisatoren nachchecken.«
    »Probleme mit den Dienern?«
    »Der übliche Mist«, sagte Winnie. Sie war eine große, kräftige Frau, mit achtundsechzig noch immer muskulös; es war nicht schwer zu erkennen, wo

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