G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff

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Harry seine Muckis herhatte. »Schäden durch Witterungseinflüsse, normaler Verschleiß. Aber mir ist ein Automatischer Verunglückter allemal lieber als ein echter.«
    »Keine schlimmen Unfälle?«
    »Keine tödlichen, Gott sei Dank. Ich hab hier ganz schön strenge Sicherheitsbestimmungen durchgesetzt. Natürlich läßt sich nicht vermeiden, daß gelegentlich ein Bolzenschußgerät oder ein Henkelmann aus Versehen einen Tritt bekommt und an der Fangplane vorbeisegelt. Weißt du, es ist komisch, aber Taxis scheinen wie ein Magnet auf fallende Gegenstände zu wirken; bislang haben wir schon zweien den Motorblock zertrümmert.«
    Kite hob eine Augenbraue. »Kommt Ihre Versicherung für solche Schäden auf?«
    »Nö. Wir schalten einfach die Fahrstühle ab, und da können sie nicht mehr zu uns hoch, um uns zu verklagen.« Sie zwinkerte. »Also was führt dich her, Joan? Tut ihr euch etwa wieder zusammen, du und der Junior?«
    »Ah... in keinerlei eheähnlichem Sinne jedenfalls«, sagte Joan. »Könnt sein, daß wir... uns zum Kaffee treffen.«
    »Na, ich halt mich da raus«, versprach Winnie. »Schön, dich zu sehen.«
    »Eigentlich«, sagte Joan, »wollten meine Freundin Kite und ich, und hier, Ayn« - sie klopfte leicht auf die Elektro-Lampe -»Jerry besuchen. Aber als ich ihn angerufen hab, konnte er mir nicht sagen, auf welchem Stock ihr wohnt.«
    »Ach ja«, sagte Winnie. Sie lachte. »Das ist Harrys Schuld. Als Bonus dafür, daß ich ihm die Baustelle leite, wollte er uns eine Wohnung so weit oben wie nur irgend möglich geben, was sich natürlich von Woche zu Woche ändert. So schauen ab und zu die Möbelpacker bei uns rein und schleppen unseren Kram ein paar Etagen höher. Ich hab keine Schwierigkeiten, mich umzugewöhnen - rechtshemisphärisch eben -, aber Jerry muß mich jedesmal ausrufen lassen, wenn er ausgeht, damit ich ihm den Weg beschreibe. Weißt du was, ich hab sowieso gleich Mittag, ich begleit euch runter.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Lampe. »Was ist das da eigentlich?«
    »Das ist mein neuer tragbarer Wegweiser«, sagte Joan.
    »Wo hast du den gekauft? Jerry könnte einen Elektro-Führer gut brauchen.«
    »Ich bin eine Philosophin«, sagte Ayn Rand.
    »Ah«, sagte Winnie Gant. »Ah so. Klasse Idee. Jerry könnte so was wahrscheinlich auch gut brauchen.«
Das Zeichen des Dollars
    Wenn Harry Gant seinen Körperbau von seiner Mutter geerbt hatte, hatte er seine Liebe zu Krimskrams - und zu Spielsachen -von seinem Papa mitbekommen.
    Seitdem er nicht mehr unterrichtete, widmete Jerry Gant einen Großteil seiner Zeit dem Sammeln alter Zeitschriften: sämtliche erschienenen Jahrgänge, wenn er sie auftreiben konnte, in Originalausgaben, wenn es sich machen ließ. In Regalen, die alle Wände der riesigen Wohnung bedeckten, ordentlich eingestellt - nicht von Jerry ordentlich eingestellt, der, sich selbst überlassen, sie einfach wahllos an den Wänden aufgestapelt hätte, sondern von den allgegenwärtigen Möbelpackern, die es ihm so schwer machten, sich zu erinnern, wo er wohnte -, befanden sich Abertausende alter Nummern von Frank Leslie's IllustratedNewspaper, TheSaturdayEveningPost, Graham'sMagazine, Atlantic Monthly, The American Mercury, Life, Scribner's, Godey's Ladies' Bookusw., Magazinen, von denen Joan größtenteils noch nie etwas gehört hatte, die Kite aber mit unverhohlener Nostalgie betrachtete.
    »Das ist mein jüngster Neuzugang«, sagte Jerry und zeigte auf einen Metallschrank, dessen flache Schubladen das vollständige
    Wall Street Journal auf Mikrofilm enthielten. »Man würde es nicht glauben, aber zwischen die Börsenberichte stecken die immer wieder ganz wunderbare Geschichtchen, die das Leben schreibt. Mitunter kleine historische Leckerbissen, hübsche Anekdoten von der Sorte, die es nie bis in die Schulgeschichtsschreibung schaffen. Wußtet ihr zum Beispiel, daß sich die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs überlegt hatten, einen Flugzeugträger aus Eis zu konstruieren?«
    »Hatte der Urheber dieser Idee«, fragte Kite, »zufällig einen kurzen Nachnamen?«
    »Also, ich glaube ja, tatsächlich. So auf Anhieb fällt er mir allerdings nicht ein ...«
    »Ich kann ihn mir schon denken«, sagte Kite.
    »Warum Mikrofilm?« fragte Joan.
    »Hmm? Na ja, es ist eine Tageszeitung. So groß ist die Wohnung nun auch wieder nicht. Tatsächlich wird sie von Woche zu Woche kleiner.«
    »Aber gibt's das Wall Street Journal nicht auf CD-ROM oder Streamer?«
    Jerry Gant