G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
Hände griffen Automatisch von unten herauf und nahmen jede neu ankommende Kiste in Empfang. Keiner der unzähligen Bauarbeiter, Touristen und sonstigen Passanten schenkte diesem geschäftigen Treiben die geringste Aufmerksamkeit - erstens, weil Neger im allgemeinen nicht weiter zur Kenntnis genommen wurden, und zweitens, weil selbst die wenigen Anwesenden, die von Natur aus zur Neugier tendierten, vom Anblick des Babel abgelenkt wurden.
Selbst Joan, für die Superwolkenkratzer ziemlich hoch auf der Liste politisch unkorrekter menschlicher Leistungen rangierten, vermochte es nicht, bei diesem Anblick ein Gefühl der Ehrfurcht zu unterdrücken. Wie eine dieser gigantischen europäischen Kathedralen, die aus einer anderen Realität hervorgewachsen zu sein scheinen und die sie umgebenden weltlichen Bauten zu völliger Unscheinbarkeit zusammenschrumpfen lassen, spottete der Babel jedem Vergleich, ja, jeder begrifflichen Zusammenfassung mit Manhattans übrigen hohen Türmen; seine relativ isolierte Lage am Nordende der Insel vertiefte nur noch den Eindruck, daß hier etwas wirklich Einmaliges war, etwas Unerhörtes, Nie-und-nirgends-Dagewesenes. Eine Zikkurat: Glas und Stahl, in kühn bemessenen Spiralstufen von nächtiger Transparenz sich emporschraubend, von kaum zu fassender Gewaltigkeit ... und sie war erst zur Hälfte fertig. Sich den Turm ganz und vollendet, seine schon so unwahrscheinliche Höhe verdoppelt vorzustellen, war der absolute Wahnsinn.
»Guck nicht so schuldbewußt, Schätzchen«, meinte Kite, der das beklommene Spiel der Emotionen auf Joans Gesicht nicht entgangen war. »Es ist nichts dabei, seine Schönheit zu bewundern. Du weißt doch, daß Frank Lloyd Wright in den fünfziger Jahren genau so ein Ding in Chicago bauen wollte. Das >Mile-High Illinois Building«... Ich weiß noch, der BajaDiario brachte damals eine Zeichnung von dem Hochhaus auf der Titelseite. >La Vision Fabulosa del Futuro<. Sagenhaft. Kostspielig, unpraktisch und für die meisten anderen damaligen Architekten abschreckend, aber sagenhaft. Ich hätte einiges dafür bezahlt, um einmal auch nur fünf Minuten lang vor - oder, noch besser, ganz oben auf dem echten Ding zu stehen.«
»Ja, sicher, Kite«, erwiderte Joan, »aber die Sache ist, da ich neun Jahre lang Harrys Regulatorin war, bin ich wenigstens zum Teil mit für dieses Monstrum verantwortlich. Indirekt verantwortlich, aber immerhin ... wenn sein Schatten sich über den Har-lem River legt und der South Bronx die Sonne wegnimmt, wenn die Stadtverwaltung die Kanalisation ausbauen muß, damit sie mit den Abwässern des Babel fertig wird, dann sind das, wenigstens zum Teil, die praktischen Auswirkungen meiner geschickten Meinungsmache.«
»Naja«, sagte Kite, »aber wenn du schon gesündigt hast, dann kannst du ja genausogut die Aussicht genießen.«
Ayn Rand ließ wie üblich keinerlei Zweifel bezüglich ihrer Meinung aufkommen. »Es ist das herrlichste Bauwerk, das ich je gesehen habe!« sagte sie. »Es ist die atemberaubendste architektonische Leistung der Menschheitsgeschichte!«
»Warten Sie ab, bis Sie die Eingangshalle sehen«, sagte Joan.
Alles andere als eine uneinnehmbare Festung, wies der Babel in seinem breiten Unterbau eine Unzahl verschiedenster Zugänge auf - Schwingtüren, Schiebetüren, Drehtüren, Elektrische Irisöffnungen -, aber der augenfälligste Eingang war die gewaltige Pforte, die den südlichsten Punkt des kreisförmigen Sockels markierte. In ersten Pressemeldungen als die »Muttersprachenpforte« angekündigt und von witzelfreudigen Leitartiklern in »Mutterrachenpforte« umgetauft, war das Tor genau das: zwei fünfzig Meter hohe Flügel aus vergoldetem Stahl und schwarzem Kristallglas, tief in ein ungeheures, gestuft zurücktretendes Bogenportal eingesetzt. Flache lconturierte Stufen aus schwarzem Marmor flössen wie ein erstarrter Lavastrom unter dem Bogen hervor -- was ungemein elegant aussah, aber den Nachteil hatte, daß die naturgetreu-wulstige Ausgestaltung der Trittfläche eine Menge Leute zum Stolpern und Fallen brachte (noch schlimmer war es im Winter, wenn die Tonnen von Heizungsluft, die durch das weit offene Tor austraten, den Schnee zum Schmelzen brachte und das Tauwasser auf den untersten Stufen und dem umgebenden Bürgersteig zu einer dicken Eiskruste wieder gefrieren ließ; es hieß, die Architektin Lonny Mat-sushida arbeite gegenwärtig an einer cleveren technischen Lösung dieses Problems).
Der Raum hinter der Pforte war weniger
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