Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
Vom Netzwerk:
runterzog, wo sein ohnehin schon kaum wahrnehmbares Radarecho im Bo-dengerümpel vollends unterging. Er drehte auf Südsüdwest und flog einen Slalom zwischen Wolkenkratzern und Bürohochhäusern; Lexa, die ihn vom Kopilotsitz aus beobachtete, bewunderte seine Geschicklichkeit.
    »Sie fliegen ganz ordentlich für jemanden ohne Schein«, sagte sie.
    »Talent hat nix mit Papieren zu tun«, erklärte Walter. Er zeigte auf eine Konsole, die sich auf ihrer Seite des Cockpits befand. »Das ist der Navigator. Sie sagen ihm unser Ziel, und er sollte uns den Steuerkurs angeben.«
    Weiter hinten in der Gondel, im Produktionsstudio, war Dan damit beschäftigt, Ellen Leeuwenhoek das intelligente Kamerasystem zu erläutern.
    »Was ist daran so intelligent?« fragte Ellen.
    »Also«, sagte Dan, »die Nielsen Company hat von jedem, der je eine Auszeichnung für TV-Bilderreportage bekommen hat, Filmmaterial genommen und den jeweiligen Stil zu einem Computermodell abstrahiert.«
    »Dann ist es also so was wie eine Kollektion von Persönlichkeitsmustern preisgekrönter Kameraleute.«
    »Genau«, sagte Dan, »und man kann entweder den bestimmten Stil aufrufen, den man gerade haben möchte, oder den Zufallsgenerator einschalten und ein Potpourri erzeugen lassen.«
    »Hmm...«
    »Es ist natürlich noch im Erprobungsstadium ...«
    »Hab ihn«, sagte Lexa. Die Windschutzscheibe des Cockpits verdunkelte sich, und ein Blickfelddarstellungsgerät projizierte momentanen Steuerkurs, Fluggeschwindigkeit, verbleibende Treibstoffmenge und andere statistische Daten in gestochen scharfem Lasergrün auf die Glasscheibe. In einer farbig unterlegten Zeile des Displays stand zu lesen: Steuerkurs zu Z-Punkt: 143 ° - Entfernung: 128,6 SM.
    »Hundertdreißig Seemeilen«, sagte Lexa wenig erfreut. »Schaffen wir's denn rechtzeitig? Philo ist fest entschlossen, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, gegen drei Uhr loszuschlagen.«
    Walter verglich seine Armbanduhr mit der digitalen Anzeige des Displays. »Philo, hm? Sie sind per du?«
    Lexa sah ihm in die Augen, dann nickte sie. »Ja.«
    »Na, keine Sorge«, sagte Walter. »Die Schallmauer kann dieses alte Schlachtschiff zwar nicht durchbrechen, aber bewegen tut es sich schon.« Er griff nach einer Reihe von Gashebeln neben sich und brachte alle acht Motoren der »Sweet Jane« auf volle Leistung. Jersey City glitt unter ihnen weg; schon schwebten sie über der New York Bay und ließen die Staten-Island-Fähre, die auf Richmond zustampfte, mühelos hinter sich zurück. Als sie südlich an der Freiheitsstatue vorbeizogen, drehte Walter nach links auf 143 Grad.
    Im Produktionsstudio drückte Dan derweil auf die Pötpourri-taste. Vierzehn entlang der Außenseite der Gondel montierte Telekameras fingen an, nach Superknüllern zu suchen. Kamera 2, die vorderste auf der Steuerbordseite, richtete sich schnell nach der direkt voraus liegenden Küste von Brooklyn aus. Kamera 2 hatte der Zufallsgenerator den Stil der freien Kamerafrau Dee Dee Rule zugeteilt, die 2014 für ihre filmische Dokumentation des nassen Tods eines kampierenden bengalischen Regiments den Rupert-J.-Murdoch-Gedächtnispreis erhalten hatte. Kings County war natürlich nicht Indien; in Brooklyn gab es keinen Monsun, keine sintflutartigen Überschwemmungen, keine Tiger, die die panisch vor den Wassermassen fliehenden Soldaten hätten zerfleischen können. Wohl aber gab es da ein paar militärisch aussehende Zelte - zwei mittel-, eins extragroß auf einem zweifelhaft aussehenden Kai aufgeschlagen, wo durchaus irgend etwas Schlimmes hätte passieren können, und einen unweit davon betrübt auf und ab marschierenden Pfadfinderführer mittleren Alters, der so aussah, als ob etwa Schlimmes bereits passiert wäre. Kamera 2 verfolgte den Pfadfinderführer und zoomte dicht an sein jammervolles Gesicht heran. Er redete mit sich selbst, wiederholte immer und immer wieder dieselben zwei Wörter. Das erste Wort war »totaler«; das zweite war »Versager«.
Haben Sie das gesehen?
    Der flüchtige Pfadfinderführer Oscar Hill war auf einem abbruchreifen Kai unweit der Bush-Terminal-Docks untergetaucht. Seine vier verbliebenen Schutzbefohlenen saßen zusammengedrängt in einem der Zelte und sezierten eine siebenbeinige Ratte, die sie in einem Olfaß entdeckt hatten; Oscar stapfte den zerbröckelnden Kai entlang und dachte über sein armes, trauriges, enttäuschendes, schreckliches, ruiniertes Leben nach.
    Anfangs war es ihm gar nicht unrecht vorgekommen - ja, es

Weitere Kostenlose Bücher