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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Augenblick fallen gelassen.
    Sie liebte ihn, liebte ihn noch heute. Sie liebt ihn gerade deshalb, weil er so und nicht anders ist, weil er niemals seine nächste Handlung ahnen läßt; sie liebt die Worte, ihre leichte, unerwartete, fast unbewußte Liebkosung, seine von den kalten Metalltasten stets kühlen Finger, das trotzige, ungebärdige Neigen des Kopfes, das Lächeln, wenn er mit seinen Automaten streitet, und die Art, wie er die Augen zusammenkneift, als belustige es ihn, daß sie nichts begreifen. Zieht er sie an sich, neigt er sein Gesicht über ihre Brust, dann erstarrt er zuweilen, hebt sein Gesicht – und die Augen sehen nichts, auch sie nicht mehr. Die Gedankenströme, die unablässig in ihm kreisen, sind seiner wieder Herr geworden, an die Oberfläche seines Seins durchgebrochen. Das Lächeln, das sie ihm geschenkt hat, erreicht ihn nicht. Eine der Unendlichkeiten, mit denen er ständig spielt, trennt ihn von ihr. Vielleicht kehrt sein Blick zu ihr zurück, und dann geht er wohl an den Tisch und notiert etwas. Und diese natürliche Leichtigkeit, mit der er sich von ihr zu lösen vermag, muß sie immer von neuem schmerzen. Daß er sie plötzlich nicht mehr sieht, bereitet ihr Kummer, und sie begreift, daß ihre große Liebe nur ein zaghaftes, aus der Ferne leuchtendes Licht ist, in dessen Schein er für kurze Zeit, oft nur für eine Sekunde, auftaucht, um wieder in das Dunkel seiner Einsamkeit zu entschwinden, zu der niemand Zutritt hat…
    Aber selbst den Blick, der durch sie hindurchgeht, lernte sie lieben, und den Schmerz, den er ihr zufügt; denn an ihm kann sie am besten die Größe seiner Liebe messen. Es war und ist ein ständiges Sichverlieren und Wiederfinden, eine dauernde Unruhe, ein Chaos der Gefühle, und zugleich ein Verweilen, ein Augenblick, in dem er wie atemlos, nur mit den Lippen, ihren Namen spricht, als rufe er sie zu sich, sie, die doch ganz nahe bei ihm ist – so nahe, daß nichts sie trennt als die Gedanken.
    Als Callarla ihre friedliche und klare Jugend zu übersehen vermochte, die wie das Warten auf eine Melodie war, da wußte sie plötzlich, daß ihr damals gerade das fehlte, was ihr nun jeder Tag brachte. Und wenn sie noch einmal wählen dürfte und alles von neuem erfahren sollte, so würde sie doch ihr Herz diesen unaufhörlichen Niederlagen ausliefern, die Schläge, die er ihr unbewußt versetzt, mit offenen Augen empfangen und mit ihm alles teilen, außer dem Leid, das sie so gut zu verbergen gelernt hatte. Sie konnte nicht so weit heranreifen, daß sie das begriff, was ihm bereits heute Unsterblichkeit verbürgt. Obgleich sie ihn nicht ganz erfassen konnte und kann – wie ein Segel, das nicht den ganzen Wind aufnimmt, der über das Meer weht –, liebt sie ihn, liebt an ihm die Naivität eines Kindes, das die Welt bestaunt, liebt seinen Atem, der ihren Hals streift, wenn er schlummert, und die fast unmerklichen Bewegungen seiner Lippen, die im Traume flüstern. Sie liebt am meisten gerade das, was nur sein Leben hindurch währt und dann für immer entschwindet, das menschlich Sterbliche an ihm. Deshalb wacht sie häufig des Nachts, als wollte sie seinen Schlaf behüten, als ränge sie nicht für die Ewigkeit seiner Gedanken, sondern seines Atmens, obwohl das unvernünftig ist, und doch mußte sie es tun, weil die Liebe es verlangte. So gingen die Jahre dahin, und er wirft seinen riesenhaften, in die Zukunft fallenden und dort erstarrenden Schatten in und über sie…
    Die Stimmen wurden noch einmal lauter, lebhafter, dann verstummten sie. Goobar und die anderen gingen auf eine der Türen zu. Ihre Gestalten tauchten in dem Lichtstreif auf, der das Dunkel teilte. Goobar blieb an der Brüstung stehen. Ich blickte auf die Uhr. Es war drei. Als ich den Kopf hob, schritt Goobar durch die Tür. Er hatte den Schatten zwischen den beiden Türflügeln nicht bemerkt und verschwand in dem Gewirr der Menschen und Stimmen. Seine Frau trat einen Schritt vor und stand nun im hellen Licht. Ich sah ihr Lächeln. Es bestätigte mir alles, was ich geahnt, gewußt und gesehen, und noch viel mehr, all das, was ich hier zu schildern versuchte. Weshalb? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich die Hände vors Gesicht schlug, um nichts zu sehen mehr nach diesem Lächeln.

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