Gast im Weltraum
nichts löst, nichts bindet. Vergebens mühte ich mich, tiefe Gefühle, Empfindungen in mir wachzurufen, sie durch leidenschaftliche Küsse und Umarmungen mir selbst vorzutäuschen; ich bedachte nicht, daß sie in einem abendlichen, gemeinsamen Schweigen, einem leichten Lächeln, einer zufälligen, unerwarteten Berührung der Hände, wenn die eine die andere streicheln will und auf halbem Wege schüchtern innehält, eingeschlossen sind und doch beredter Ausdruck werden. Wie wenig verstand ich Anna, wie wenig berührte mich das, von dem – in dem sie lebte. Ich will nicht viele Worte darüber verlieren, wie ich endlich diese Wahrheit erkannte. Gewiß, Regungen der Ehrlichkeit, vielleicht der Scham, waren in mir vorhanden. Manche Szene oder Begebenheit hatte sich meinem Gedächtnis eingeprägt, manches hatte ich geahnt und vermutet. Aber diesen Gedanken war ich immer wieder ausgewichen, da ich fürchtete, die Verantwortung auch für ihr Los auf mich nehmen zu müssen, ich, der das eigene nicht zu tragen vermochte.
Häufig bemerkte ich, daß sie sich der kleinsten Einzelheiten unserer ersten Begegnungen entsann, während mir fast nichts im Gedächtnis haftengeblieben war. Ich schrieb dies dem Erinnerungsvermögen zu, das den Frauen in solchen Dingen eigen ist und das den Männern häufig fehlt. Auch ihr Gespräch mit Soledad, das ich belauscht hatte, gehörte dazu, und andere Kleinigkeiten, die ich einfach nicht verstehen wollte. Dann geschah eines Abends etwas, was ich nicht mehr auf die leichte Schulter zu nehmen, von mir zu weisen wagte.
Wir saßen oder, richtiger gesagt, lagen halb auf dem mit einem schweren, weißen Fell bedeckten Bett. Müde lehnte ich den Kopf an die verschränkten Arme Annas und blickte, ohne etwas zu sehen, in das Zimmer, das von der niedrigen blauen Ampel schwach erhellt wurde. Wie schon so oft, sprach ich über unser künftiges Zusammenleben. Vielleicht stießen wir eines Tages auf einen kleinen Planeten, der gerade zwei Menschen genügend Raum böte–zwei Menschen, die dann mitten unter den Sternen in einem kleinen Haus nur für sich leben würden. Als ich halblaut, mit müder Stimme, dieses Märchen erzählte, erblickte ich plötzlich in dem Wandspiegel das Gesicht Annas.
Sie hörte mir zu. Ihre Lippen, die bitter lächelten, schienen zu sagen: Ich weiß, es ist alles Lüge, du sagst es nur, um das Schweigen auszufüllen, und du vergißt jedes Wort, kaum daß du es ausgesprochen hast. Das macht nichts… sprich weiter, sprich nur weiter…
Da begriff ich, was für ein gefährliches Experiment das war. Ich gab ihr nichts. Sie war für mich eine warme, stille Zuflucht in den langen, leeren Stunden, Wochen und Monaten. Ich hatte mich an sie gewöhnt, wie man sich an eine Landschaft gewöhnt. War Anna nicht zugegen, dann fühlte ich wohl die Leere um mich, aber nicht in mir. Hätte ich sie in mir gefühlt, dann wäre es Liebe gewesen. Anna hatte dies gleich am Anfang erkannt und sich mit einer Art stiller Verzweiflung damit abgefunden; denn sie liebte mich vom ersten Tage an. Ich war ihr der liebste Mensch und war ihr doch zugleich sehr fremd. Unbekümmert war ich in ihr Leben getreten, stöberte in ihren intimsten Erinnerungen, spielte wie ein Kind mit Flitterkram, den es eine Weile vor seinen Augen wendet und bald gelangweilt wegwirft. Manchmal war ich zärtlich – und das war noch schlimmer. Ich hätte mit ihren Augen die Welt zum zweitenmal sehen, die Stimme ihres Herzens hören können, die sie vor sich selbst verheimlichte. Zu allem bereit, betrachtete sie ihr Schicksal ‚ als begänne es eben erst abzurollen; es lag vor ihr wie ein weißes, unbeschriebenes Blatt. Ihre Liebe kannte keine Angst vor den Sternen, und ich – ich wußte nur, daß ihr Haar duftete, daß sie eine warme, weiche, zarte Haut hatte…
Ich war unfähig, auch nur ein Wort der Lüge hervorzubringen, und verstummte.
„Und was weiter?“ fragte sie leise und wiegte meinen Kopf in ihren Armen. Ich konnte nicht sprechen, eine eiserne Faust schien mir die Kehle zuzudrücken. In diesem Augenblick fügte ich auf der Flucht vor mir selbst all den Schändlichkeiten eine neue hinzu. Ich zog Annas Kopf zu einem Kuß herunter, in den ich mich als letzte Zuflucht rettete, damit sie nicht in meinen Zügen las, daß ich alles von ihr wußte…
Wie gern wäre ich in der Lage, euch zu berichten, daß ich Anna wirklich aus ehrlichem Herzen liebgewann, daß wir sehr glücklich waren – aber leider sind diese Probleme nicht
Weitere Kostenlose Bücher