Gast im Weltraum
so einfach zu lösen.
Der zweite Winter unserer Reise verging, es wurde wieder Frühling. Bisher waren die Baume und Sträucher in unserem Garten gehorsam der künstlichen Sonne gefolgt. Wenn sie stärker schien, mehr Wärme und Licht aussandte, dann bedeckten sie sich mit Laub, erblühten und hüllten sich, wenn die Sonnenstrahlen schwächer wurden, in herbstlich bunte Blätter. Nur die kanadische Fichte an Bord blieb unverändert und trug das gleiche dunkle Nadel gewand. Die Botaniker spritzten besondere Präparate in den Boden, aus dem sie die lebenspendenden Säfte saugte. Sie aber blieb all diesen Bemühungen gegenüber gleichgültig, verharrte unbewegt und düster in ihrer Reglosigkeit, als durchschaute sie das naive Spiel der Menschen. Sie schien in ewigen Schlaf versunken, als wollte sie nicht zu dem trügerischen Traumbild der irdischen Landschaft ringsum gehören. Doch eines Tages flog eine Nachricht durch die Gea, die uns alle aufrüttelte: Die schwarze Fichte hatte an den Frühling geglaubt. Über Nacht waren frischgrüne Sprossen an ihren Zweigen aufgebrochen.
Wir gingen in den Garten und drängten uns schweigend um den Baum. Ein unerklärliches, unbegreifliches Empfinden hatte uns hierhergetrieben, und nun schauten wir stumm den erwachenden Baum an. Dann zog sich einer nach dem , anderen still zurück. Einer der letzten wollte einen der jungen Triebe abbrechen, wohl um ihn zwischen den Fingern zu zerdrücken und den herben Duft einzuatmen; aber ein anderer hinderte ihn und tadelte ihn streng. Schließ lich war ich allein. Ich setzte mich unter den Baum und stützte den Kopf in die Hände. In meine kindliche Freude, die der Anblick des Baumes mir bereitete, mischte sich dumpfe Trauer. Auf einmal spürte ich, daß ich nicht mehr allein war, daß jemand mich beobachtete. Ich hob den Kopf. Vor mir standen Ameta und Zorin.
„Komm mit“, sagte Ameta. „Wir gehen in die Sterngalerie.“
Ich hatte nicht die geringste Lust.
„Willst du nicht? Komm nur“, drängte Ameta.
Diese Zudringlichkeit ärgerte mich. Unwillig erhob ich mich und folgte den beiden. Der Aufzug trug uns zum Promenadendeck hinauf, und gleich darauf erblickten wir im tiefen Dunkel die Sterne. Ich wollte sie nicht sehen und wandte mich ab; aber mit dem Kopf, dem Rücken, mit meinem ganzen Ich fühlte ich den gähnenden Abgrund hinter mir. Wir schwiegen.
Auf einmal sagte Ameta: „Wir wohnen nicht in einem Haus unter dem Himmel und den Wolken. Wir sind im leeren Raum. Man kann sich wohl selbst betrügen und so tun, als ob es anders wäre; aber besser und richtiger ist es, festzustellen und sich ständig klarzumachen, daß wir im leeren Weltraum sind. Gewiß, dann tritt die Angst an uns heran; denn alles, auf was wir uns zu stützen gewohnt waren, wurde uns genommen. Das Denken ist bestrebt, die Wirklichkeit um jeden Preis durch einen riesigen Selbstbetrug zu verschleiern. Das darf nicht geschehen. Wir brauchen keine behagliche, wohlbehütete Sicherheit. Ist die unerforschte, drohende Unsicherheit nicht viel menschlicher? Ständig erweitern wir den Horizont des Lebens und entdecken immer mehr in ihm. Verschließ nicht die Augen davor! Stoße die Leere, wenn sie an dich herantritt, nicht von dir, lehne dich nicht auf gegen sie–denn so ist die Welt, unsere Welt. Du mußt nur begreifen, daß alles menschenwürdiger ist, je schwerer es ist; dann wird das, was fremd und furchtbar zu sein scheint, das seit langem gesuchte Ziel.“
Unbewegt leuchteten die Sterne. Ich schwieg. Ameta fuhr fort, als beendete er ein Unterbrochenes Gespräch: „Hast du heute abend schon etwas vor?“ „Nein.“
„Dann sei in einer Stunde im Park der Kinder. Kommst du?“
Vielleicht hätte ich abgelehnt. Aber er ergriff meine Hand, und der kurze, kräftige Händedruck, den wir wechselten, söhnte mich mit allem aus, auch mit der sonderbaren Ansprache im Angesicht der Sterne, mit der eigenartigen Einladung und schließlich mit ihm selbst, dem Piloten Ameta.
Park der Kinder heißt ein Saal, der an einen kleinen botanischen Garten erinnert. Dort wachsen wenige niedrige Bäume mit starken, gebogenen Asten – wie geschaffen zum Klettern. Auch einen Sandkasten für die Kleinsten gibt es, eine Felsengrotte und einen Springbrunnen mitten in einem weiten, seichten Becken.
An diesem Abend waren die Bäume und die Spielplätze verschwunden. Die Videoplastiker hätten den Saal in einen Zaubergarten verwandelt; denn ein Wettkampf ganz besonderer Art sollte
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