Gast im Weltraum
mathematisches Gerippe, sondern eine beliebig große Zahl. Die Grenzen der Gestalten, das Verhältnis der Farbflecken zueinander, die Proportionen der menschlichen Körper, obschon vom Riesenapparat der Analyse bis in feinste Fasern aufgegliedert, verteidigten zäh ihre Geheimnisse. Er geriet auf Irrwege, auf ganz zufällige, belanglose Beziehungen, die auch in wertlosen Bildern auftreten. Aber ihm ging es um die mathematische Analyse der,Elemente, die das Schöne, das absolut Schöne bilden, sie wollte er in einer vollkommenen, in sich geschlossenen Formel zusammenfassen und ausdrücken, die alles in sich enthielt, alles umfaßte, wie die Formel der Schwerkraft den Aufbau des ganzen Weltalls ausdrückt.
Auf langen Wanderungen suchte er Erholung von der geistigen Überanstrengung. Wenn er auf stillen Waldwegen dahinschritt, dann sah er häufig in der Linie der dunklen Wipfel nur geometrische Kurven und suchte nach ihrer Funktionsgleichung. Manchmal schienen sie Fingerzeige für mögliche Lösungen zu sein. In den Nächten saß er dann wieder vor seinen Apparaten, lauschte dem dumpfen, monotonen Rasseln und Klirren, dem Summen der kreisenden Ströme, die gehorsam viele Tausende Berechnungen ausführten, bis sich seine Erkenntnis zu einem grauen Kreis verengte, in dem die ganze Vielfalt der Farben, Skulpturen, Schnitzereien, Formen, Polynome durcheinanderwirbelte, Häufig schlief er, den Kopf auf die Arme gelegt, unter dem großen Bildschirm ein, in dem immer langsamer im kalten Licht grünlich funkelnde Kurven aufzuckten. Endlich kam die Stunde, in der er die in unzähligen schlaflosen Nächten so heiß gesuchte Formel auf einem Blatt Papier notieren konnte. Sie war einfach und klar wie die Notwendigkeit selbst.
Nun mußte geprüft werden, ob sie richtig war. Er gab dem Automaten die erforderlichen Instruktionen und die Formel und wartete geduldig, bis unter dem Geräusch der blitzschnell vibrierenden Relais das erste Kunstwerk entstand, das nicht Menschenwerk war. Endlich glitt aus dem Spalt ein steifer Karton. Smur verlängerte die erwartungsvolle Spannung, schob den Augenblick hinaus, in dem er die vollendete, aus der Präzision der Formel hervorgegangene Schönheit erblicken würde. Schließlich ergriff er den Bogen und näherte ihn dem Licht. Er war mit einem komplizierten, rhythmisch wiederholten Ornament bedeckt. Eine Unzahl von Arabesken tanzte ihm vor den Augen. Diese Konstruktion, entstanden aus der Gesetzmäßigkeit, die sich aus der eisernen Konsequenz der Formel ergab, bildete den Hintergrund für den Kern dieses totgeborenen Werkes. Es war ein leerer, weißer Kreis.
Smur traute seinen Augen nicht, er überprüfte alle Kontakte des Automaten, die Richtigkeit der Instruktion, die Reihenfolge der mathematischen Operationen, vergrub sich auf gut Glück in eine Etappe der vorangegangenen Forschungen, wühlte sich von allen Seiten in das mathematische Dickicht, das er mit höchster Bewußtseins- und Willensanstrengung erfaßt hatte, um es zu bewältigen und in einer Formel zu vereinigen. Er fand keinen Fehler.
Er schaltete die Lampe aus und trat ans Fenster. Schwer und weiß hing hoch droben am Firmament der Mond. Reglos stand Smur mit geschlossenen Augen, kühlte die glühende Stirn an dem kalten Metallrahmen, das Blut pochte in seinen Schläfen, und Schwärme algebraischer Zeichen quälten wie lästige Fliegen sein müdes Hirn und ließen es nicht zur Ruhe kommen.
Schließlich wandte er sich um und – erstarrte. In einer Ecke des Zimmers, an der Wand, auf dem zweiten Schreibtisch leuchtete noch ein Trionenbildschirm, der einzige, den er nicht ausgeschaltet hatte. Er zeigte ein Werk, das Smur wenige Tage zuvor angefordert hatte: der Kopf der Nofretete.
Alle Methoden der Topologie, des einzigen Zweiges der Mathematik, der die Qualität untersucht, die große, allumfassende Theorie der Gruppen und alle Netze der Formeln standen Smur zur Verfügung. Nun legte er diese Schlinge dem bisher Unausgesprochenen, versuchte es mit allen seinen geistigen Kräften zur Relation zu reduzieren, so, wie in der räumlichen Untersuchung ein Kristallgitter reduziert wird. Den Gesetzen der Mathematik unterliegt doch jedes Atom, der Stein wie das Gestirn, der Flügel wie die Flosse, der Raum wie die Zeit! Wie sollte sich etwas gegen solch mächtiges Werkzeug behaupten?
Und nun stand auf dem Tisch, zwischen Apparaturen und Logarithmentafeln, im ruhigen Licht des Schirmes dieser hagere, strenge, gesammelte, anmutige, zarte
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