Gast im Weltraum
Licht noch mehr zu dämpfen.
Moleticz erfüllte seinen Wunsch. Das Gesicht des Mathematikers verschwamm im Halbdunkel, als er zu erzählen begann.
Mathematische Fähigkeiten besaß er bereits als Kind. Als er seine Studien beendet und selbständig wissenschaftliche Forschungen aufgenommen hatte, veröffentlichte er wenige Jahre später eine Arbeit, die ihn berühmt machte. Er wagte sich an die schwierigsten Fragen und löste Probleme, mit denen andere seit Jahren erfolglos rangen, in wenigen Monaten. Er war imstande, zwei, ja sogar drei Forschungen auf einmal zu betreiben. Seine Begabung, sein Scharfsinn, seine Intuition ermöglichten es ihm, jedes neue Thema, das ihn fesselte, so lange zu verfolgen, bis er die Richtung erkannte, in der weitergegangen werden mußte. Aber kaum, daß ihm die Umrisse des Ganzen vorschwebten, hörte bei ihm das Interesse für dieses Problem auf, und er übergab es zur weiteren Bearbeitung seinen Automaten. Er hatte sich mit einer ganzen Schar solcher unermüdlichen Helfer umgeben. Alles, was er anpackte, hielt er für zu leicht, da es ihm geringe Schwierigkeiten bot. Die Kollegen nannten ihn den „Sammler harter Nüsse“ und warfen ihm allzugroßes Selbstbewußtsein vor. Endlich beschlossen sie, ihm die Lösung eines bestimmten Problems anzutragen. Er nahm die Herausforderung an und erklärte, dies sei etwas, was seinen Kräften entspreche.
Bisher war in der Nüchternheit seines Arbeitsraumes, dessen Einrichtung aus einem Schreibtisch, einem Sessel, zwei Elektronenhirnen und einigen Hilfsanalysatoren bestand, eine Hyazinthe, die in einem kegelförmigen Topf am Fenster blühte, das einzige Zugeständnis an das Schöne. Nun sprühte und leuchtete der Raum von Farben. Aus den Trionenschirmen waren die mathematischen Abhandlungen, die dicken Folianten und die dünnen Bändchen verschwunden. In der kalten, silbrigschimmernden Tiefe der Schirme erschienen porzellanene Wunderwerke, Schalen, auf denen konzentrische Wirbel von himbeerfarbenen und goldenen Blütenblättern sich bei flüchtigem Hinsehen in die entgegengesetzte Richtung zu drehen begannen, feingeschliffene Kristalle, springende Hirsche und küssende Lippen. Sie wurden abgelöst von altertümlichen, mit grellbunten Farben, wechselnden Rhythmen in Silber und Blut, Silber und Feuer, Silber und Veilchen bestickten Geweben. Sie wurden verdrängt von griechischen Vasen mit den Linien nackter Hüften, Henkelkrügen, allmählich sich weitenden, wie in Erwartung dunklen Weines sich öffnenden Krügen und Flaschen, die mit krähenden Hähnen bemalt waren, und prähistorischen Amphoren, deren Oberfläche von der Erde zerfressen war und deren Bauchung ein Reigen weißer Schatten zierte.
Jeden dieser Gegenstände ordnete Smur einer bestimmten Gruppe von Symbolen zu. Dann begann er die eingehende Untersuchung. Auf den Behelfspulten entstanden Projektionen und Schnitte verschiedener Körper – Hyperboloide, Kulotten, einander durchdringende Kegel, Vielflächner mit abgestumpften Ecken, Tori, die Deformationen höheren Grades unterworfen waren, und Polytope.
In Metall, Glas und Kristall geätzte Gestalten, die sich wie Getreide im Wind neigten, wandelten sich um in gleichförmige Zahlenreihen, Zahlenketten, vielseitige Diagramme und ein Dickicht von Kurven, die die Ränder uralter Urnen aufrollten und die schwingenden Sinuskurven des Tones erklärten.
Dann kamen Bilder an die Reihe.
Im hellen Schein der Trionenbildschirme tauchten die hohen, lichten Himmel Hobbemas, die wogenden Linien Goyas, die mit unwägbarem Licht gefüllten Gemächer Vermeers, die lebensstrotzenden Gestalten Tizians, die aus goldbrauner Dunkelheit wachsenden Menschen Rembrandts auf. Nächtelang saß er vor ihnen, zielte mit seinen optischen Geräten auf zarte Silhouetten schwebender Engel und auf schnaubende, schaumbedeckte Pferde, untersuchte das Größenverhältnis der Gestalten, ihre Verteilung im Raum, die Achsen der Perspektive in Flecken von goldgelbem Ocker und Elfenbeinschwarz, Zinnober und Indigo, Karmin und Sepia, in den Flächen von Venezianisch- und Indischrot. Im Kräftespiel des Lichts und der Schatten analysierte er die Winkel und die Grenzen. Er schuf äußerste Extreme und auflösbare Gruppen und aus ihnen fundamentale Potenzen, Reihen und Pole im Unendlichen.
Doch je weiter er in seinen Forschungen fortschritt, desto größer wurde der Widerstand, wurden die Schwierigkeiten, auf die er stieß. Jedes dieser Bilder besaß nicht nur ein einziges
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