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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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und doch so präzise Kopf – ein Gast aus einem anderen Raum – und schien alle Hoffnungen Smurs erfüllen zu wollen. Er war ganz und gar Mathematik, Verkörperung und Sinnbild der Formeln, die von allen möglichen Welten und der Lösung aller unmöglichen sprachen. Die Bogen, mit denen der Hals in die Schulter übergeht, sind wie zwei plötzliche Pausen im Dahinströmen einer Sinfonie. Das Gesicht unter der Pharaonenkrone mit den begehrlichen Lippen, die alle Genüsse kennen, der goldene Schnitt des Schweigens, ein unantastbares, unabhängiges Gebiet, zwang ihn in die Knie. Und diese formvollendete Schönheit war mit Meißeln, die vor fünfundvierzig Jahrhunderten ein ägyptischer Bildhauer geführt hatte, aus einem Sandstein herausgearbeitet worden! Smur trat an den Schreibtisch und löschte den Mond durch das Licht der Lampen aus. Wie ein Blinder starrte er in den bohrenden Blick Nofretetes und atmete schwer. Dann richtete er sich auf, nahm die Komposition des Automaten und zerriß sie in winzige Stücke. Sie flatterten wie weiße Blütenblättchen zu Boden. Er war im Begriff, sein Arbeitszimmer zu verlassen. An der Tür blieb er stehen und ging zu dem Elektronenhirn, drückte auf den Knopf des Anihilators. Die Kontrollämpchen leuchteten auf, die Ströme summten. Er stand vor dem Apparat und hörte aufmerksam zu, als mit einem Geräusch, ähnlich dem Rascheln dürren Laubes, die in monatelanger Arbeit geschaffene Theorie aus den Metallwindungen des mechanischen Gehirns getilgt wurde, als der denkende Mechanismus auf seinen Befehl für immer alles vergaß, damit er, Smur, niemals eine bittere Erfahrung vergessen konnte.
Fallende Sterne
    Der vier Monate lange Flug hatte uns dreihundert Milliarden Kilometer von dem roten Zwerg entfernt. Er glänzte nur noch als rotleuchtender Funke hinter der Gea im Raum. Unser Schiff hatte Kurs auf das Zwillingssystem des Zentauren genommen und näherte sich ihm rasch. Von neuem konnten wir die gleiche, kaum faßbare Umwandlung von Sternen in Sonnen beobachten.
    Ich widmete meine freie Zeit dem Studium und ergänzte meine Kenntnisse auf dem Gebiet der Paläobiologie, die sich mir, wie die jüngste Vergangenheit bewies, als nützlich erweisen konnten.
    Eines Abends ging ich, nachdem ich mir im Garten eine Weile die Beine vertreten hatte, zu Borel, traf aber nur seinen sechsjährigen Jungen in der Wohnung an.
    „Vater ist seit heute morgen nicht nach Hause gekommen?“ wiederholte ich seine Antwort auf meine Frage. Der Kleine bat mich, mit ihm zu spielen; aber ich hatte keine Ruhe. Wenn Borel nicht einmal zum Mittagessen in seiner Wohnung gewesen war, dann war etwas Besonderes geschehen. Ich fuhr in das Observatorium. Die Säulenhalle vor den Arbeitsräumen der Astronomen war menschenleer; die Deckenleuchten waren wie gewöhnlich, wenn Forschungen durchgeführt wurden, ausgeschaltet, damit die plötzliche Helligkeit die Forscher, die das Observatorium verließen, nicht blendete.
    Im Observatorium war es so finster, daß ich anfangs wie ein Blinder an der Tür stehenblieb. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit, und ich sah die Leuchtschirme der Teletaktoren, auf denen silbriger, erstarrter Sternstaub flimmerte. In dem Raum vor den Schirmen, wo sich sonst immer einige Astronomen aufhalten, sah ich keinen Menschen. Die Astrophysiker hatten sich in einem Winkel rings um einen Apparat zusammengedrängt. Ich dämpfte unwillkürlich meine Schritte, um die tiefe Stille in dem großen Raum nicht zu stören. Alle schienen auf etwas zu lauschen, was für mich nicht hörbar war. Am Schaltpult des Radioteleskops stand Trehub. Seine Hände ruhten auf den Stellrädern, die er ganz langsam drehte. Die kreisrunde Scheibe vor ihm erlosch, leuchtete wieder auf. Der Kopf des Astrophysikers hob sich als dunkle Silhouette von dem blaßvioletten Hintergrund ab. Ich wollte ihn leise fragen, was dieses allgemeine Schweigen zu bedeuten habe, da vernahm ich ein feines Geräusch, als schüttete jemand Mohnkörner auf ein Trommelfell. Trehub drehte die Stellräder weiter. Das Geräusch ging in einen lauteren, hellen Wirbel über. Als er die größte Lautstärke erreicht hatte, ließ Trehub die Hände sinken und näherte sich dem Lautsprecher. Die anderen beugten sich vor, um besser hören zu können. Das monotone Geräusch, dessen Ursache ich nicht kannte, langweilte mich schließlich. Ich fragte deshalb einen Gefährten, was das sei.
    „Radarsignale“, flüsterte er.
    „Unsere

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