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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Worten.
    Ich hielt es im Hause nicht mehr aus; ich fand keine Ruhe und unternahm ausgedehnte Fußwanderungen in die Wälder. Die Bäume standen starr und unbewegt in dem gelblichen Licht der Herbstsonne. Die kahlen Äste zeichneten sich scharf gegen das Blau des Himmels ab. Stundenlang irrte ich umher, bis die Nacht hereinbrach und die ersten Sterne aufblitzten. Häufig blieb ich stehen, hob den Kopf und starrte nachdenklich zu ihnen empor. Es war kalt, der Abend brachte leichten Frost. Unter meinen Tritten raschelte trockenes, vergilbtes Laub, von überallher umwehte mich der kühle, bittersüße Hauch der Verwesung, des Pflanzensterbens. Doch niemals hatte im Frühling mein Herz so stark geklopft wie in diesem Spätherbst im entlaubten Walde.
    Welch sonderbare Wege geht doch die Entwicklung der Menschheit! Was dem Lebenden mitunter unverständlich, ja sinnlos vorkommt – ein Gewirr scheinbar gegensätzlicher, einander widersprechender Möglichkeiten, durch das sich die Menschen mühsam einen Weg bahnen, auf dem sie, wenn sie ihren Irrtum erkannt haben, wieder zurückweichen –, das alles erscheint ihren Nachfahren, aus der Perspektive der Zeit gesehen, als unabdingbare Notwendigkeit. Die Windungen, Krümmungen und Abweichungen des zurückgelegten Weges lassen sich nun klar erkennen und deuten, wie Schriftzeichen, die sich zu sinnvollen Wörtern zusammenfügen.
    Vor Jahrhunderten, lange vor dem Zeitalter der Astronautik, meinten die Menschen, ein Flug in den Weltraum ohne Zwischenstationen, ohne sogenannte künstliche Satelliten außerhalb der Erde, sei unmöglich. Aber im Laufe der Entwicklung der Technik erwies es sich, daß solche Konstruktionen überflüssig waren. Die Kosmonautik war länger als siebenhundert Jahre unabhängig von den künstlichen Monden; auf ihnen befanden sich lediglich astronomische Observatorien und Wetterregulierungsanlagen. Doch einige Jahrhunderte später, als der Mensch daranging, Expeditionen über das Planetensystem hinaus in den Weltraum vorzubereiten, ergab sich die Notwendigkeit, Zwischenlandestationen einzurichten.
    Bereits die Untersuchungen über die Wirkungen höchster Geschwindigkeiten auf den menschlichen Organismus erforderten Versuchsstationen auf künstlichen Monden, die in beträchtlicher Entfernung um die Erde kreisten, um den hinderlichen Einfluß der Erdschwere zu beseitigen. Und als das Weltraumschiff gebaut werden sollte, zeigte es sich, daß man es im Raum zusammensetzen mußte, da es zu groß war, um vom Planeten aufsteigen oder auf ihm landen zu können. Ähnlich verhielt es sich in früheren Zeiten mit den Ozeanriesen: In kleine Häfen konnten sie nicht einlaufen; deshalb gingen sie auf See vor Anker und standen mit dem Land durch kleine Schiffe in Verbindung. So wurde die Gea, das erste Weltraumschiff, in der Leere des interplanetaren Raumes, 180 000 Kilometer von der Erde entfernt, gebaut. Es sollte niemals auf einem Himmelskörper landen, sondern sich ihm nur bis in die obersten Schichten seiner Atmosphäre nähern, dort sozusagen schwimmen und ganze Schwärme von Verbindungsraketen aus seinem Innern ausspeien.
    Bereits während meiner Studienzeit entstand die erste Werft für Weltraumschiffe im leeren Raum. Einen der ersten Bauabschnitte betrachtete ich vom vierten künstlichen Satelliten aus. Ich stand unter vielen Neugierigen in der verglasten Beobachtungskabine auf dem höchsten Punkt des Metallrumpfes. Unaufhörlich brachten die Raketen neue Schaulustige von der Erde herüber.
    Die Arbeiten auf der Werft wurden im Schattenkegel der Erde ausgeführt, deren nächtliche Halbkugel uns wie die dunkle Öffnung eines riesigen Brunnenschachtes entgegengähnte. Die Baustelle wurde von großen, im Raum schwebenden Jupiterlampen erhellt, die wie Pendel hin und her schwangen. Jede sandte zwölf grelle Strahlenbündel in das Dunkel, die von den metallenen Panzerplatten der Schiffsverkleidung wie Blitze zurückgeworfen wurden. Ein Ameisengewimmel von Automaten kroch auf dem Schiffsrumpf umher. Manche bewegten sich ständig wie die Schiffchen eines gigantischen Webstuhles vor und zurück, andere erhoben sich über den Schiffsrumpf und schienen aufzuflammen, wenn eines der Lichtbündel sie traf; gleich darauf verschwanden sie wieder im Dunkel. Blickte man durch das Fernglas, dann war alles deutlich zu sehen. Die winzigen Automaten schafften die weitausladenden Kräne und Brücken ohne die geringste Mühe von einem Ort zum anderen, denn alle Lasten waren hier ja

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