Gast im Weltraum
wenigstens wegen meines Benehmens am Abend zuvor um Entschuldigung bitten. Sie war mir nicht mehr böse. Schließlich verabredeten wir uns für den Tag nach dem Marathonlauf. Rechnete ich damals im stillen noch auf eine Änderung ihrer Meinung? Am ehrlichsten wird wohl die Antwort sein: zeitweise – ja. Vorläufig kehrte ich zu meinen einsamen Trainingsläufen zurück. Ich muß eingestehen, daß ich manchmal die Lider schloß in der Erwartung, hinter ihnen Anna zu erblicken. Aber das Wunschbild erschien nicht. Wie zuvor lief ich mit der Stoppuhr, und wenn die Bewegung ihrer Zeiger mit meinem Pulsschlag zusammenfiel, dann hatte ich den Ein druck, als triebe meine Anstrengung die Zeit voran, als müßte sie stehenbleiben, wenn ich nicht wäre und mit einem machtvollen Endspurt drei großen Tagen entgegeneilte: Am zwanzigsten Juli sollte ich zum Marathonlauf starten, am Morgen des einundzwanzigsten Anna sehen und am zweiundzwanzigsten an Bord der Gea sein.
In der Zeit vor dem Lauf interessierte ich mich lebhaft für die Favoriten. Die drei, die für mich die größte Gefahr bildeten, waren Gerhard, Mehilla und El Tuni. Besonders an Mehilla konnte ich mich nicht satt sehen. Dank seinem hohen Wuchs – er war fünf Zentimeter größer als ich – hatte er einen unvergleichlich leichten Schritt. El Tuni wendete die Taktik an, zwischen dem zwanzigsten und dem dreißigsten Kilometer plötzlich davonzulaufen. Er schüttelte seine Verfolger ab und strebte, ohne sich umzusehen, mit leichten, langen Schritten, als wäre er schwerelos und schwömme nur noch durch die Luft, dem Ziel zu. Kurz vor dem Abschluß des Trainings lief ich mit ihm über die volle Distanz. Obwohl ich alles aus mir herausholte, erreichte er doch sechshundert Meter vor mir das Ziel. Ich erinnere mich noch ganz genau, daß ich damals, als ich mich zum Bad auskleidete, sehr aufmerksam und kritisch meine Beine betrachtete und mit dem Blick die Muskeln meiner Waden und Schenkel maß, wie ein Musiker, der zugleich Fehler und verborgene Möglichkeiten in seinem Instrument sucht. Meine Beine waren eigentlich gar nicht so übel, stellte ich fest, sie konnten sich aber mit Mehillas Beinen nicht messen.
Der Tag des Starts, der Tag der Niederlage rückte näher. Meine Freunde verbargen keineswegs ihre Zweifel vor mir. Trostsprüche, die einem Betrug gleichgekommen wären, gab es bei uns nicht.
In der Nacht vor dem Start widerfuhr mir das größte Mißgeschick, das einen Läufer treffen kann. Ob sich die in mir aufgespeicherte Unruhe Luft machte oder ob ich in den letzten Tagen zuviel trainiert hatte – ich schlief jedenfalls sehr schlecht und wachte am Morgen wie zerschlagen und müde auf, müde schon vor dem Lauf! An einen Startverzicht war nicht zu denken. Ich fuhr zum Stadion und sagte mir immer wieder, daß man auch lernen muß zu unterliegen.
Das Stadion war eigentlich eine weite Ebene. Über ihr summten bereits Zehntausende Hubschrauber, die beinahe die Sonne verdunkelten. Ordner in kleinen, roten Maschinen wiesen ihnen die Plätze an, wo sie halten, das heißt, unbeweglich in der Luft hängen durften. Als sich alles beruhigt hatte, war nur noch der dumpfe Ton ihrer Propeller zu hören. Die zahllosen Hubschrauber bildeten zu beiden Seiten der Bahn schräge, bunte Vierecke, die übereinander gestaffelt unter den Wolken schwebten. Über die ovale Bahn glitten jetzt lediglich die Einsitzer der Kampf- und Schiedsrichter. Dann kamen die Wettkämpfer nacheinander aus einem zwischen Bäumen versteckten Gebäude. Für diesen Tag war bei den Meteotechnikern schönes, aber wolkiges Wetter mit vielen großen Kumuluswolken bestellt worden, die eine nicht allzu hohe Temperatur auf den sonnenbeschienenen Teilen der Bahn sichern sollten. Die Marathonstrecke wand sich, nachdem sie das Stadion verlassen hatte, zwischen den ausgedehnten Parks und Gärten des Instituts hindurch, erreichte dann den Meeresstrand – das war der schwierigste Abschnitt – und mündete in eine achtzehn Kilometer lange, von Palmen und Edelkastanien gesäumte Allee, die zu Start und Ziel zurückführte.
Zu dem Marathonlauf hatten sich mehr als achtzig Läufer gemeldet. Wir starteten in drei Gruppen; bei der großen Distanz war dies bedeutungslos. Das Startzeichen ertönte, der Lauf begann. Zu beiden Seiten heulten die Hubschrauber auf, setzten sich in Bewegung und schoben sich hinter uns bis an die Grenze vor, die durch zwei Reihen roter Ballons gekennzeichnet war. Von da an durften uns nur noch
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