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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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schwerelos geworden. Bunte Rauchfahnen quollen unter den Schweißapparaten hervor, und lange Schweife farbiger Funken glitten an den Flanken des Raumschiffes entlang. Sie verdichteten sich zu kleinen Wolken und folgten träge der Spur der hin und her flitzenden Raketen, die zu Dutzenden in allen Richtungen die Strahlenbündel kreuzten. Diese Lichtorgie löschte die blassen Sterne aus, die den scheinbar flachen Hintergrund dieses Schauspiels bildeten. Im Verhältnis zu unserem Beobachtungspunkt, der dreißig Kilometer von der Werft entfernt war, drehte sich das ganze Gebiet fieberhafter Arbeit majestätisch langsam um seine Achse, so daß sich die Reflektoren, die es anfangs von oben beleuchtet hatten, schließlich unten befanden – sofern man bei der Irrealität dieser Begriffe im schwerelosen Raum überhaupt von oben und unten sprechen kann.
    Elf Monate dauerte die Arbeit, dann verschwanden die Automaten, die zur mechanischen Bedienung des Schiffes gehörten, in seinem Innern, die anderen kehrten zu ihren Basen zurück. Die von den Konstruktionsgerüsten befreite Gea kreiste nun silbrig, groß und schweigend um die Erde wie ein künstlicher Mond. Noch kein Atomfeuer hatte ihre abgrundtiefen Auspufföffnungen berührt.
    Mein Vater liebte die Dichtkunst auf eine etwas sonderliche Art. Er besaß sogar noch einige alte Bücher, las aber nur selten in den Werken der von ihm bevorzugten Dichter. Er bezeichnete Gedichte als Hilfe, und Hilfe braucht man ja nicht immer. Nur manchmal, nachts, flammte Licht in seinem Zimmer auf… Eine ähnliche Hilfe in den Monaten ungeduldigen Wartens waren für mich Kletterpartien. Häufig bat ich meine Kollegen, mich in der Klinik zu vertreten, zog allein ins Gebirge und unternahm eine schwierige Klettertour.
    Auf einmal überstürzte sich alles, als wäre ein mit Ereignissen gefüllter Ballon unerwartet über meinem Kopf geplatzt: Im Laufe einiger weniger Tage erhielt ich vom Chefastrogator der Expedition die Nachricht, daß meinem Gesuch um Aufnahme in die Besatzung stattgegeben worden sei, erblickte meinen Namen auf der Liste der Teilnehmer an den Olympischen Spielen in diesem Sommer und… lernte Anna kennen.
    Sie hatte klare Augen mit einem sehr klugen Ausdruck, der sich in ihren vollen Lippen etwas vorsichtiger oder vielleicht gleichgültiger wiederholte. Sie studierte Geologie, liebte Musik und alte Bücher… mehr wußte ich leider nicht von ihr. War ich allein, dann liebte ich sie sehr, trafen wir uns, dann war ich dessen nicht mehr so sicher. Bewußt und unbewußt versetzten wir einander kleine, aber empfindliche Stiche. Ständig kam es zwischen uns zu Mißverständnissen, an sich geringfügigen Reibereien, die mit beiderseitigem Schmollen endeten, das heute hochdramatisch, morgen aber schon wieder nichtig und gegenstandslos war. Trotzdem litt ich darunter, und Leiden, das wußte ich aus Büchern, begleiten große und tiefe Gefühle. So kam ich auf Umwegen, obwohl auf der Grundlage streng logischer Schlußfolgerungen, zu dem Ergebnis, daß ich Anna trotz allem liebe. Und sie? Ich konnte nichts Bestimmtes in Erfahrung bringen. Wenn wir beisammen waren, dann blickte sie häufig, in Gedanken versunken, traurig und abwesend aus weit geöffneten Augen in die Ferne, als sähe sie dort für mich unsichtbare Landschaften. Das ärgerte mich. War sie wieder freundlich, gegenwärtig und gütig, dann war ich im Nu wie umgewandelt und wurde froh, beschwingt, ja – demütig. Das alles war nebelhaft, unwirklich, von Mutmaßungen und Erwartungen umsponnen, unerträglich und zauberhaft schön zugleich; denn es war Frühling. Wir gingen zusammen durch frischgrüne Gärten, lauschten den Vögeln, die sich im Singen übten, und saßen auf Bänken hinter Büschen, die mit Knospen übersät waren. Ich riß einige ab, drehte sie zwischen den Fingern, rollte die Blätter gedankenlos auf, als wollte ich ihnen, die noch nicht entwickelt, noch im Kindesalter waren, mit Gewalt die Gestalt der künftigen Blüten geben. Es lag mehr in diesem Spiel als ein Zeichen zeitweiliger Ungeduld; denn uns beiden fehlte am meisten gerade das, was allen Möglichkeiten gestattet hätte, heranzureifen: die Zeit. Nur sie konnte alles klären, uns aneinander binden oder uns trennen. Wir hatten sie aber nicht, die flüchtige, kostbare Zeit. Einige Male beschloß ich, die entscheidende Aussprache mit Anna herbeizuführen. Doch ich schob es immer wieder auf. Gleichzeitig rückte der Tag meines Starts näher. Das eine wie das

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