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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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aufleuchteten, kam mir plötzlich der Gedanke, meinen Vater Wiedersehen zu wollen. Natürlich, das war es ja, deshalb fuhr ich doch nach Grönland! Es war wie eine Offenbarung. Ich erkundigte mich nach der günstigsten Verbindung und verließ bald darauf den Zug in einer kleinen Station auf freiem Feld. Das durchsichtige Röhr, in dem die Züge in rasender Fahrt von Kontinent zu Kontinent jagten, verlief hier in schnurgerader Richtung nach beiden Seiten, wurde immer schmaler, verlor sich im Osten in der Dämmerung. Im Westen spiegelte sich in ihm die Abendröte. Ein Ton, der rasch höher und schwächer wurde, verklang wie das Schwingen einer behutsam gestrichenen Violinsaite. Das erinnerte mich wieder an die Symphonie. Ich zuckte mit den Schultern.
    Auf der anderen Seite der Station wartete bereits der vom Zug aus bestellte Hubschrauber. Er war auf einer Rasenfläche gelandet. Das hohe, tauschwere Gras durchnäßte meine Hosen bis an die Knie. Ich schimpfte leise vor mich hin, stieg ein und flog geradenwegs nach Hause. Als die Maschine im Garten landete, verlosch eben wieder der Tag, den ich auf meiner ununterbrochenen Jagd nach Westen eingeholt hatte. Ich achtete nicht darauf, schlug nicht einmal die Gartentür hinter mir zu, sondern lief gleich ins Haus. Es war leer. Wieder mußte ich den Informator in Anspruch nehmen. Heute bin ich ausschließlich auf die Gesellschaft von Automaten angewiesen, dachte ich ärgerlich. Meine Mutter und meine Großmutter waren in der Stadt, mein Vater nahm an einem Ärztekongreß in der Antarktis teil. Ich beschloß, ihn aufzusuchen, und zwar unverzüglich. Der Hubschrauber war für diesen Zweck natürlich zu langsam. Ich flog also zum Raketenbahnhof, der hoch über der nördlichen Vorstadt Meorias emporragt. Schon von weitem sah ich seine riesige Kuppel, die in den letzten Sonnenstrahlen aufblitzte. Ich verließ den Hubschrauber auf der obersten Plattform des Bahnhofes und ging zu den Rolltreppen, wo über den gläsernen Globus des Fahrplans bunte Lichtchen huschten. In den nächsten Minuten gab es keine direkte Verbindung nach der Antarktis. Ich mußte zum dritten künstlichen Mond fliegen und von dort die Rakete benutzen, die zum Südpol flog. Ich betrat die abwärtsgleitende Treppe. An der Wand blinkte die Leuchtschrift auf:
Taimir–Kamtschatka–Neuseeland. Start in vier Minuten.
Brasilien–Feuerland. Start in sieben Minuten.
    Mir fiel ein, daß mir von Patagonien aus eine der zahlreichen Verbindungen zum Südpol zur Verfügung stand. Aber ich rührte mich nicht von der Stelle. Die Treppe glitt mit mir immer tiefer. Ich kam an der zweiten, der dritten, der vierten Plattform vorbei. Immer mehr Reisende strebten den Raketen zu, die sie an ihr Ziel bringen sollten. Wieder leuchtete eine Ankündigung auf:
Malaiischer Archipel. Start.
    Gleichzeitig erklang ein gedämpftes Dröhnen, das sofort wieder verstummte. Hoch über mir vibrierte das Pfeifen einer landenden Rakete. Luken wurden klirrend geschlossen. Eine ferne Stimme meldete durch die Lautsprecher: „Raumschiff Mars–Daimos–Erde, acht Sekunden Verspätung.“ Hinter dem durchsichtigen Getäfel der Wände glitten lautlos Menschenströme vorüber. Ich sank immer tiefer, bis das weiße Licht der Startbahnen für die Erdverbindungen von dem blauen Licht der Raketenlinien nach den Satelliten abgelöst wurde. Durch die hin- und herflutende Menge bahnte ich mir einen Weg zu den Gleisen. Auf einmal schwand meine ganze Energie, als wäre sie mit dem letzten Tagesschimmer, der durch die Wände der Halle drang, aus mir entwichen.
    Ich stand da und überlegte. Gut, ich fliege nach der Antarktis, suche den Ort auf, wo der Kongreß stattfindet, lasse meinen Vater aus dem Saal rufen – gewiß, er wird sich freuen, aber auch überrascht sein, mich dort zu treffen; er wird mich fragen, was ich will, ob ich etwas benötige. Und was sage ich ihm dann? Daß ich ihn unbedingt sehen mußte? Deshalb brauchte ich nicht in die Antarktis zu fliegen, dazu genügte der Fernsehapparat. Daß ich seinen dunklen Anzug berühren, die Wärme seiner Hände in den meinen fühlen wollte? Ich müßte ihm das in einer hohen, kalten Wandelhalle mitteilen. Durch die Tür würde die Stimme eines Vortragenden zu hören sein, und mein Vater würde tun, als ob er Zeit hätte und ihm gar nichts daran läge, wieder im Saal zu sein. Ich würde vor ihm stehen, ihn vielleicht stumm anschauen; denn was wollte, was konnte ich ihm eigentlich sagen? Die Gea startete ja erst

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