Gast im Weltraum
flimmern ließ und die Gegenstände am Horizont zu formlosen Farbflecken verwischte, zum Angriff auf den Kern der Spitzengruppe an. Auf der Höhe der Düne endete der einundzwanzigste Kilometer. Als neunter erreichte ich die Kilometermarke. Vor mir und hinter mir vernahm ich schwere Atemzüge. Eine Zeitlang blieb ich an der Seite Jaffars. Er schnappte krampfhaft nach Luft und entblößte dabei seine trockenen Zähne. Es gelang mir, ihn zu überholen. Ich war selbst erstaunt, wie leicht das gewesen war.
Der Weg machte einen Bogen und mündete in die lange, von schattigen Kastanien gesäumte Allee ein. Alle liefen wie auf Verabredung schneller. Das war gefährlich für mich, ich fürchtete, dieses mörderische Tempo nicht lange durchhalten zu können. Aber ich mußte mich zusammenreißen; denn dort, unter den schattigen Bäumen, hatte ich geringere Chancen als auf der freien, offenen Strecke. Ich spie das Taschentuch in die hohle Hand, holte tief Atem und steigerte mein Tempo. Wie leicht ist das gesagt: Ich steigerte mein Tempo! Unter dem Herzen spürte ich auf einmal einen feinen, stechenden Schmerz, der sich auf die Eingeweide ausdehnte. Daß du es nicht wagst, langsamer zu werden! ermahnte ich mich im stillen. Der Schmerz wurde immer schlimmer und breitete sich im ganzen Körper aus. Wir hatten bereits die Baumreihen erreicht. Ich hob den Kopf, und diese Änderung meiner Haltung täuschte mir wenigstens für ein paar Minuten eine Erleichterung vor. Über uns glitten ganze Stockwerke kühlen Grüns dahin. Zwischen den breiten Wedeln der Palmen flutete das flimmernde Blau des Himmels wie schimmernde Wellen in einer Bucht. Die Augen schienen sich an der im Laub der Bäume verborgenen, reglosen Stille festzusaugen. Die Strecke stieg wieder an. Der sechsundzwanzigste Kilometer lag hinter uns. Ich lief als achter, dann wieder als neunter. Hinter mir spielte sich ein erbitterter Kampf um die Plätze ab. Doch ich wußte nichts davon. In der heißen Luft hörte ich nur das gleichmäßige Stampfen, das Klatschen der Sohlen auf der Straßendecke und rasche, keuchende Atemzüge. Hie und da glitt ein Blatt aus den Wipfeln der Kastanien. Manchmal flog ein Vogel von den Zweigen auf und flatterte unbekümmert über den Köpfen der Läufer. Die träumerische, warme Mittagsstille kontrastierte spürbar mit der schweigenden Verbissenheit unseres Kampfes.
An die nächsten sechs Kilometer kann ich mich kaum noch erinnern, so in mich gekehrt war ich, mit solch wütender Anspannung aller Kräfte bändigte ich die Meuterei in meinem Körper, in dem bald hier, bald da ein brennender Schmerz stach, als punktierte jemand meine Nerven. Als ich aus diesem Zustand erwachte, waren nur noch drei Läufer vor mir: Gerhard, ein Unbekannter mit blondem Haar und blauem Hemd und der leichtfüßige Mehilla. Gerhard hielt sich gut, aber er stieß sich nicht mehr so elastisch vom Boden ab wie zuvor. Der junge Läufer in dem blauen Hemd blieb Zentimeter um Zentimeter hinter den beiden zurück. Als ich in gleicher Höhe mit ihm war, vernahm ich das pfeifende Keuchen seiner Lunge. Er warf sich noch ein-, zweimal nach vorn, dann gab er es auf. Ich achtete nicht darauf, mich kümmerte überhaupt nichts, was ringsum geschah, denn ich hatte nicht mehr die Kraft, mechanisch mein Tempo zu halten. Je schwächer die Muskeln wurden, desto größer mußte der Aufwand an psychischer Kraft sein. So legte ich einen Kilometer nach dem anderen zurück. Die sanften Krümmungen der Allee rückten näher und verloren sich hinter mir mit dem rhythmischen Widerhall meiner Schritte. Zehn bis zwölf Meter vor mir lief Gerhard, und ganz weit vorn leuchtete das weiße Hemd Mehillas in der Sonne auf und verschwand wieder im Schatten.
Gerhard sah sich einmal, dann ein zweites Mal um. Beim erstenmal kam es mir vor, als ob seine Miene Achtung ausdrückte. Das war gewiß eine Sinnestäuschung, denn was vermag schon das schweißbedeckte Gesicht eines Menschen mit erschöpftem Herz und keuchenden Lungen nach dem vierzigsten Kilometer eines Marathonlaufes auszudrücken, wenn Staub und Schweiß auf der Haut zu einer festen, salzigen Kruste geworden sind? Als Gerhard sich zum zweitenmal umdrehte, glaubte ich zu sehen, daß er lachte, als wollte er sagen: Warte nur, gleich wirst du staunen, wie ich laufen kann! Plötzlich wurde es dunkler rings um mich. Anfangs dachte ich, auf meinen Wimpern hätte sich eine Staubschicht festgesetzt. Aber es war sicherlich Übermüdung oder eine Blutleere
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