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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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der Netzhaut. Allerdings verlor ich den Bruchteil einer Sekunde durch den Versuch, diesen lästigen Nebel aus den Augen zu wischen. Zorn packte mich. Na schön, ich werde blind, dachte ich; aber ich laufe weiter! Sekundenlang schloß ich die Augen.
    Als ich die Lider wieder öffnete, war Gerhard nicht mehr vor mir. Riesige Palmen glitten an mir vorüber, meine Schuhe klappten eintönig auf dem Straßenbelag, ringsum war alles öde und menschenleer. Nur das weiße Hemd Mehillas leuchtete ungefähr hundert Meter vor mir. Er schien nicht zu laufen, sondern, von den Bewegungen seiner sehnigen Arme vorwärtsgetrieben, sehr niedrig über dem Boden durch die Luft zu gleiten. Er war stets gleich weit von mir entfernt und hielt den Abstand zwischen uns beiden, unerbittlich, gleichgültig wie der ferne Horizont. Als ich versuchte, mein Tempo zu steigern, tat er das gleiche, ohne auch nur den Kopf zu wenden; denn der Hall der Schritte war in der stillen, klaren Luft weit zu hören. Auf einmal spürte ich meine Beine nicht mehr. Ich mußte hinsehen, um festzustellen, daß sie sich wie vorher bewegten. Ich fühlte es nicht. Ich merkte nur den Luftstrom, der durch den weit geöffneten Mund in die Lunge drang und die Kehle wie ein glühendes Messer zerschnitt. Ich spürte mein Herz – nein, es war der grausame Schmerz, der in der Brust wühlte. Vor meinen Augen wehten trübe Schleier, verschwammen Phantome. Ein weißer Fleck flimmerte und schwankte vor mir her. Ich sah es und begriff nicht mehr, daß er das Hemd Mehillas war. Ich vermochte nicht mehr zu denken, als hätte sich mit meinen Muskeln auch mein Hirn wie eine zum Schlag geballte Faust zusammengekrampft. Ich hatte das Empfinden, als ob ich nicht mehr lief, sondern auf einem Tier ritte, das ich antriebe, auf das ich erbarmungslos einschlüge und über dessen Langsamkeit ich eine Flut von Verwünschungen ausgösse. Dabei haßte ich seinen und auch meinen grausamen Schmerz, der mir die Eingeweide zerfraß. In diesem Augenblick erklang ein durchdringend hoher Ton. Die Fanfaren am Eingang des Stadions verkündeten das Nahen der ersten Läufer. Dieser Ton traf mich wie der Schlag einer metallenen Gerte. Sekundenlang sah ich alles klar und deutlich. Mehilla lief zehn oder elf Schritt vor mir. Sein Hemd war klatschnaß, sein Oberkörper schwankte willenlos, wie bei einem Betrunkenen, hin und her, nur seine Füße schlügen unermüdlich den Takt zu seinem Lauf. Mit offenem Munde atmete ich den Geruch seines Schweißes, ich taumelte, ich riß mich von neuem vorwärts. Zwischen den Pylonen am Eingang schaute er sich um. Ich konnte gerade noch das jähe Erschrecken in seinem Gesicht wahrnehmen. Er stolperte, verlor einen, zwei Schritt Vorsprung. Dann verschleierte sich wieder mein Blick. Ich glaubte, die Adern an meinen Schläfen sollten zerspringen; aber der trübe‚ weiße Fleck vor mir wuchs, wurde größer. Ich spürte bereits die Wärme seines erhitzten Körpers. Schulter an Schulter liefen wir in das Stadion. Da – plötzlich war es, als zuckte ein eiserner Blitz vom Himmel: Die Zuschauer in den Kabinen der Hubschrauber ließen die Sirenen, die Notsignale aufheulen und öffneten die Auspuffklappen der Motoren. Untergetaucht, versunken in diesem höllischen Gebrüll,-wie auf dem Grund eines Ozeans von Lärm, stürmte ich weiter. Glühende Hände schienen meinen Körper zusammenzudrehen, die Muskeln meiner Beine zu packen und sie immer heftiger zu bewegen. Ich wollte aufschreien vor Schmerz, um Hilfe rufen gegen die Kräfte, die mich so furchtbar quälten. Auf einmal wirbelte etwas um meinen Kopf, Lichter blitzten auf, vor meinem getrübten Blick erschien ein weißes Band. Mit hocherhobenen Händen sprang ich darauf zu. Meine Beine trugen mich weiter. Ich vermochte den Schwung nicht abzubremsen. Nun erst wurde mir bewußt, daß dieses rätselhafte Etwas‚ das mich auf den letzten Metern einer so erbarmungslosen Prüfung unterworfen hatte, mein eigener Wille war, daß ich selbst es war, daß mein eiserner, dem Körper aufgezwungener Befehl weiterwirkte. Ich lief, verschwommene Gestalten sprangen von allen Seiten auf mich zu. Sie hatten Flügel – nein, es waren Decken, die im Winde flatterten. Da begriff ich, daß ich als erster das Ziel erreicht hatte. Ich brach zusammen, als hätte mir jemand die Beine abgehackt, und verlor das Bewußtsein.
    Später, als ich im Sanitätsraum wieder zu mir gekommen war, erfuhr ich, was Mehilla so erschreckt hatte, daß er unwillkürlich

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