Gast im Weltraum
Leuchten.
„Anna“, flüsterte ich, „das ist ja alles richtig. Ich weiß von dir ebensowenig wie du von mir. Zwischen uns gab es bisher nichts anderes als unerfüllte Möglichkeiten. Uns war es nicht bestimmt, sie zu erfüllen. Ich möchte aber, daß du weißt, wieviel du für mich bedeutest, wieviel ich dir zu verdanken habe.“
„Wie dumm und eigensinnig du doch bist!“ erwiderte sie lächelnd. „Kommst du schon wieder mit diesen glatten, runden Phrasen?“
„Was soll ich denn tun?“ fragte ich wie ein Kind. Sie lachte kurz auf, wurde aber gleich wieder ernst, neigte den Kopf zurück und sagte: „Wie soll ich das wissen? Gib mir einen Kuß. Ich weiß keinen anderen Ausweg…“
Ich umarmte sie. Wir sahen uns in die Augen. Mühelos könnte ich noch heute unter allen Schattierungen der Welt die Farbe ihrer Regenbogenhaut herausfinden, auf der nun, wie an zwei kleinen Firmamenten, zwei winzige Sonnen aufleuchteten.
Sie stand auf, strich ihr Kleid glatt und betrachtete sich aufmerksam, beinahe mißtrauisch in ihrem Handspiegel. Dann ordnete sie mit einem Kamm ihre Frisur. Immer wieder hatte mich die strenge Schlichtheit bewegt, die sich bei diesen zielbewußten Handgriffen in ihren Zügen prägte. Der Gedanke, sie zum letztenmal zu sehen, schnürte mir die Kehle zu.
„Es ist spät geworden, du verpaßt das Flugzeug“, sagte sie. Ich sprang auf und stolperte. Mit ihrer kleinen, kräftigen Hand packte sich mich am Arm. „Komm, du ungeschickter Mensch. Sonst fällst du noch ins Wasser, anstatt zu den Sternen zu fliegen…“
Die Gea
In alten Zeiten waren die Menschen Gefangene des Raumes. Von allen irdischen Landschaften und Gegenden kannten sie nur die, in der sie zur Welt gekommen waren, lebten und starben. Die ersten Reisenden mußten das Dickicht der Wildnis, reißende Ströme und unwegsame Gebirge überwinden.
Auf den Kontinenten, die durch die Ozeane getrennt waren, entwickelte sich das Leben der Völker unabhängig voneinander, als lebten sie auf anderen Planeten.
Wie erstaunt mochten die Phönizier gewesen sein, als sie die südlichen Meere durchschifften und sahen, daß die Sonne scheinbar die umgekehrte Bahn am Himmel beschrieb und daß der Mond unter dem Wendekreis des Steinbocks waagerecht aufging, so daß zuerst die beiden rötlichen Hörner am Horizont auftauchten.
Allmählich verschwanden die weißen Flecke auf den Karten der Erdkugel. Kolumbus, Magalhães, Vasco da Gama und andere kühne Seefahrer unternahmen lange, mühselige und gefahrvolle Forschungsreisen auf zerbrechlichen Segelschiffen. Aber die Welt war und blieb riesengroß und voller Geheimnisse. Um sie zu umsegeln, genügte mitunter nicht einmal ein Menschenleben. Mancher, der als erster eine solche Fahrt ins Unbekannte wagte, kehrte nicht in die Heimat zurück. Erst im Zeitalter der Maschinen wurde die Erde kleiner. Die Menschen umkreisten sie anfangs in Monaten, dann in Wochen und schließlich in Tagen. Damals zeigte es sich, daß der Mensch mit der Erringung der Herrschaft über den Raum das, was Jahrhunderte hindurch für ihn unerschütterlich festzustehen schien, in Bewegung gebracht hatte: die Zeit.
Heute holt jeder von uns bei einer Reise entweder den bereits zur Neige gehenden Tag ein, oder er verkürzt oder verlängert die Nacht, ja, bei einem Flug in entgegengesetzter Richtung der Erdumdrehung kann er einen Tag der Woche überspringen. Keiner denkt darüber nach, so selbstverständlich und klar ist uns das geworden. Menschen, die auf künstlichen Satelliten arbeiten, gewöhnen sich rasch an ihre örtliche Zeit, den gleichmäßigen Turnus von Schlaf und Wachen an einem Tag, der kürzer ist als der Erdentag. Der Raum ist zusammengeschrumpft, der Zeitbegriff ins Wanken geraten. Aber der Gewinn, den man ihm abgerungen hatte, war noch recht unbedeutend. Selbst die Astronauten, die von weiten Flügen an die Grenzen unseres Sonnensystems, vom Saturn oder vom Pluto zurückkehrten, hatten im Vergleich zur Erdenzeit höchstens drei, vier oder fünf Tage gewonnen.
Die Expedition in den Weltraum, zu dem nächsten Sonnensystem, dem Alpha Centauri, sollte die Zeit endgültig spalten. Die eine, die mit gleicher Geschwindigkeit abläuft, blieb auf der Erde zurück, die andere, auf der Gea gemessen, verstrich um so langsamer, je rascher sich das Weltraumschiff vorwärtsbewegte. Der Unterschied betrug auf der ganzen Reise einige Jahre. Es ist sonderbar und großartig, wenn Theorien und Formeln, die bisher nur an den Erscheinungen
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