Gast im Weltraum
Eltern, dann bei Professor Murach und anschließend bei einigen Freunden… Ich lasse ja alle hier zurück, Anna.“ Diese Worte klangen wie eine Anklage, obgleich dies gar nicht meine Absicht war. „So ist es eben…“, fügte ich wie zu meiner Entschuldigung hinzu.
„Und ich bin die letzte“, sprach sie nach einer längeren Pause. Wir sahen aneinander vorbei, hinaus auf das weite, dunkle Meer, über das die weißen Wogen gegen die Küste rollten. Je länger ich über sie hinwegschaute, desto mehr bildete ich mir ein, der Horizont komme auf uns zu. Während unseres Gesprächs hatte ich manchmal den Eindruck, als läge das Meer unbewegt, als glitten wir darüber hin, mit einer gewaltigen Bugwelle an dem Felshang, auf dessen höchster Spitze wir ruhten.
Anna erkundigte sich, wie lange die Reise ins Weltall dauern würde. Ich blickte sie verwundert an, denn das hatte ich ihr längst gesagt. „Ungefähr zwanzig Jahre“, antwortete ich und war plötzlich selbst erstaunt darüber. „Die Geschwindigkeit der Gea wird die halbe Lichtgeschwindigkeit überschreiten?“
„Ja.“
Ich nahm an, daß sie gedankenlos in unbestimmte Fernen blickte; aber dann merkte ich, daß sie ganz leicht die Lippen bewegte. Da begriff ich; Sie rechnete. Ich hatte mich nicht geirrt. „Der Flug wird ungefähr zwanzig Erdenjahre dauern“, sagte sie schließlich. „Auf Grund der Geschwindigkeit des Raumschiffes werdet ihr aber nur, nur…“ Sie verstummte, als wäre sie sich ihrer stillen Berechnungen nicht ganz sicher.
„…fünfzehn, vielleicht sechzehn Jahre älter sein. Das wolltest du wohl sagen, denn…“ Ich brach mitten im Satz ab, als ich das unbeschreibliche Lächeln sah, das über ihr Gesicht huschte.
„Wenn du zurückkommst, bin ich älter als du“, sagte sie.
Ich wußte nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich saß unbequem, wagte indessen nicht, mich zu bewegen, und starrte auf das brausende Meer hinaus. Ich spürte, daß dieses Schweigen uns immer weiter voneinander entfernte, das gleiche Schweigen, das uns früher so fest verbunden hatte.
„Anna“, stieß ich endlich verzweifelt hervor, „ich glaube, ich bin dir gegenüber stets offen und aufrichtig gewesen. Wir haben uns gut verstanden, wir haben uns wohl gefühlt zusammen und könnten…“
„Weshalb sprichst du darüber?“ fragte sie und schaute träumerisch vor sich hin. Ihre Ruhe vertiefte meine Vereinsamung.
„Ich sage es, weil es mir in diesem Augenblick so vorkommt, als wären wir uns ganz fremd, und das ist doch nicht wahr, Anna…, das kann doch nicht wahr sein.“
„Und doch ist es so“, entgegnete sie. Ich hätte diese Worte stumm, passiv zur Kenntnis genommen, wenn sie nicht etwas getan hätte, was mich bei ihr so oft in Staunen versetzt hatte. Sie lächelte ironisch – vielleicht auch traurig. Ich weiß es nicht.
„Anna…“ Ich wollte sie an mich ziehen, aber sie befreite sich sanft aus meinen Armen.
„Wenn ich dir etwas war, dann nur deshalb, weil ich unabhängig, selbständig blieb. Wäre ich anders, dann wäre ich gewiß nicht der letzte Mensch, von dem du Abschied nimmst.“
„Vielleicht hast du recht“, räumte ich ein, „obgleich ich es nicht glaube. Aber müssen wir in dieser Stunde über diese Dinge sprechen?“
„Du möchtest wohl am liebsten ein paar schöne, vielleicht sogar schwermütige Worte hören, ein symphonisches, getragenes Finale unserer Bekanntschaft?“ fragte sie mit einem leicht spöttischen Unterton. Sie lächelte nicht mehr. „Und wenn ich dir jetzt sagte, daß ich…“
„Ich bitte dich, laß diese Scherze“, rief ich. Sie lachte, als sie meine Erregung bemerkte, die ich eine Sekunde zu spät unterdrückt hatte. Sie schüttelte sich vor Lachen. Ihre dunklen, windzerzausten Haare wehten an den hohen Fels, der ihr als Stütze und Rückenlehne diente, flossen um seinen Rand, wie das Wasser, das unter uns um die Felsen der Küste wirbelte.
Ihr Lachen verwirrte mich, allerdings nur einen Augenblick lang. Dann kam mir ein Gedanke, der früher schon an ihrer Seite in mir aufgetaucht war: Hier neben mir sitzt ein anderer Mensch, eine ganze, große, in sich abgeschlossene Welt, die sich von tausend anderen unterscheidet und für sich allein etwas ganz Besonderes, Unbegreifliches und Gewaltiges bedeutet. Und diese Welt entglitt mir. Uns trennte bereits so viel, daß die physische Nähe der Körper machtlos dagegen war. Ich berührte ihre Hand. Sie sah mich an. In ihren Augen glomm ein warmes, weiches
Weitere Kostenlose Bücher