Gast im Weltraum
standen uns vielleicht eine Sekunde lang gegenüber, die mir eine Ewigkeit zu sein schien. Dann neigte sie leicht den Kopf. Mit den Worten „Gute Nacht, Doktor“ ging sie weiter, die Treppe hinunter. Ich sah ihr nach, als sie, schlank und geschmeidig, die Stufen hinabschritt – nein, hinabglitt –, und fuhr mit der Hand über das Gesicht. Ich spürte mein Lächeln, das aber gleich wieder verschwand. In ihrem Antlitz lag, wie mir nun erst zum Bewußtsein kam, ein schmerzlicher Zug, den ich sonst, unter Menschen, vielleicht nicht bemerkt hätte. So sieht ein Mensch aus, der vor dem Geliebten etwas verbirgt, sehr gut und sorgfältig verbirgt. Nur ein Fremder kann das bemerken, und nur bei der ersten Begegnung, da man es später, wenn man daran gewöhnt ist, nicht mehr wahrnimmt. Da kann ich nicht helfen, dachte ich. Jeder dieser zweihundertsiebenundzwanzig Menschen, die sich in den bequemen Wohnräumen der Gea zur Ruhe begeben, nimmt seine irdischen Belange, seine Freuden und Leiden mit auf diese Reise. Man kann sie vor dem Flug in den Abgrund des Raumes nicht abschütteln wie den Staub der Erde.
Der Garten im Raum
Am anderen Tage um elf Uhr Erdenzeit sollte die Gea zu ihrem ersten selbständigen Flug starten. In dem hufeisenförmigen Steuerraum hatten sich die meisten Mitglieder der Besatzung versammelt, um auf diesen feierlichen Augenblick zu warten.
Die Astrogatoren Ter Akonian, Songgram, Grotrian und Pendergast, die Chefkonstrukteure Yrjöla und Uteneut, Atomphysiker, Mechaniker, Ingenieure und Techniker überprüften nochmals alle Apparaturen. Kontrollampen flammten auf, als beantworteten sie Fragen, die an sie gerichtet wurden. Auf einem Podest unter der Stirnwand des Raumes war das Hauptschaltpult montiert, das aus einer großen, polierten Syenitplatte bestand. Als die letzten Vorbereitungen getroffen waren, entfernten die Astrogatoren die Schutzhülle. Wir sahen nun den kleinen, schwarzen Schalthebel, der die gesamte Antriebsmaschinerie unseres Raumschiffes in Bewegung setzte und den noch keine Menschenhand berührt hatte. Goobar sollte ihn niederdrücken. Wir warteten auf den Gelehrten mit steigender Ungeduld. Es wurde elf Uhr, aber er kam nicht. Die Astrogatoren wurden nervös. Sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander. Endlich ließ sich der älteste von ihnen, Ter Akonian, mit den Arbeitsräumen des Professors verbinden. Nach einem kurzen Gespräch verdeckte er mit der Hand das Mikrophon und sagte zu den drei Kollegen: „Er hat es vergessen.“
Diese Worte gingen von Mund zu Mund und verursachten ein leises Geräusch, das bis in die äußersten Winkel des großen Raumes drang. Ter Akonian sprach etwas, aber es war so leise, daß nicht einmal ich es verstehen konnte, obwohl ich ganz in seiner Nähe stand. Er legte den Hörer auf die Gabel, strich sich über den blauschwarzen Bart und wandte sich an uns: „Ich bitte um ein wenig Geduld. Professor Goobar hat eine wichtige Idee, die er rasch notieren muß. Er ist in fünf Minuten hier.“
Wir warteten nicht fünf, sondern fünfzehn Minuten. Endlich wurde die Glasscheibe des Aufzuges hell, die Tür öffnete sich. Goobar trat, nein, stürzte heraus; er war offenbar bemüht, die Verspätung wettzumachen, die er verursacht hatte. Als er die vielen Menschen sah, die zur Seite wichen und für ihn eine breite Gasse bildeten, verbeugte er sich etwas steif und erstaunt vor dieser unerwartet großen Versammlung und ging mit raschen Schritten auf die Astrogatoren zu. Er brachte die ganze Feier durcheinander; denn bevor Ter Akonian auch nur ein Wort sagen konnte – nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, wollte er wohl eine Ansprache halten –, stieg Goobar die drei Stufen zum Schaltpult hinauf, fragte Yrjöla, der in der Nähe stand: „Ist es dieser Hebel?“, und als Yrjöla bestätigend nickte, drückte er ihn hinunter.
Im Nu erloschen sämtliche Lichter. Dafür flammten an den Wänden lange Reihen von Rechtecken auf. In jedem dieser erleuchteten Rechtecke zitterte vor dem farbigen Hintergrund ein schwarzer Zeiger. Über uns klang das gedämpfte Klirren der Automaten. Dann durchlief das Schiff ein leichtes, kaum wahrnehmbares Beben. Die Stirnwand war verschwunden. Vor uns gähnte der Abgrund des Weltraums, glitzerten die Sternwolken. Im Vordergrund schimmerte das Modell der Gea wie ein Fischkörper, der im Dunkel des Raumes schwamm. Der Strom, den die Steuerautomaten einschalteten, setzte die Erreger, die Antriebsvorrichtungen, die
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