Gast im Weltraum
„Wie schön!“, da fühlte ich zum erstenmal seit langem wieder, wie einsam ich war. Du Kind, dachte ich. Durch das Dunkel, das uns einhüllte, glitten Sternwolken. Ihr Auf steigen fesselte den Blick, es war wie eine sonderbare, vielversprechende, einladende Geste, als öffnete sich majestätisch langsam ein funkenbesäter Vorhang, um etwas Unbekanntes zu zeigen… Ich kannte diese Täuschung nur zu gut.
Eine Zeitlang spazierten wir in der Galerie auf und ab. Die tiefe Dunkelheit wurde regelmäßig von dem grellen Weiß des Mondes und dem sanften Blau der Erde abgelöst. Es war, als öffneten und schlossen sich über uns gigantische Flügel.
Anna erzählte mir aus ihrem Leben. Sie war mit ihrem Vater, einem berühmten Komponisten, auf der Gea. Gerade zu dieser Stunde dirigierte er in der Philharmonie seine Sechste Symphonie. Ich wunderte mich, daß Anna mir nicht vorgeschlagen hatte, dieses Konzert zu besuchen.
„Ach, ich kenne beinahe jeden Ton dieser Symphonie… Mein Vater schaut ja auch nicht zu, wenn ich eine Operation ausführe.“
Sie sagte das so ernst, daß ich im ersten Augenblick nicht wußte, ob sie es scherzhaft meinte oder nicht. Schließlich begaben wir uns doch noch zum Konzertsaal. Als wir uns der Vorhalle näherten, die mit Chrysoprasplatten verkleidet war, verklangen gerade die letzten Töne des Finales. Gleich darauf strömten die Zuhörer aus dem Saal und stiegen die Treppen hinunter. Langsam schoben sie sich an dem monumentalen Vulkanitblock vorüber und verschwanden als lichte Spirale im Halbdunkel der lebenden Zäune, die der Park der Gea ihnen wie zur Begrüßung entgegensandte.
Anna und ich blieben im Zwischengeschoß stehen. Wir wußten beide nicht recht, was wir tun sollten. Ich hatte das Gefühl, daß meine Kollegin von meiner reichlich schweigsamen Gesellschaft genug hatte. Trotzdem spielte sie ihre Rolle als Fremdenführerin tapfer weiter, machte mich mit diskreten Kopfbewegungen oder Blicken auf einzelne Leute aufmerksam, die vorüberkamen, und nannte ihre Namen. Die meisten von ihnen waren Astronomen oder Physiker. Die Techniker waren schwach vertreten. Nicht ein Mechanoeuristiker war unter ihnen.
„Die Mechanoeuristiker lassen ohnehin ihre Automaten für sich arbeiten, da können die Automaten für sie auch die Konzerte anhören“, sagte Anna und lachte über ihren Witz. Das Lachen ging in einem Gähnen unter, das sie nicht zu verbergen vermochte. Das war ein unmißverständliches Zeichen von Ermüdung. Ich verabschiedete mich und wünschte ihr eine gute Nacht. Rasch lief sie die Treppe hinunter. Im Halbdunkel der Hecken wandte sie sich noch einmal um und winkte mir zu.
Ich stand noch immer auf dem Treppenabsatz. Mein Blick irrte über die vielen hellen und dunklen Köpfe hin und blieb schließlich an den bunten Kleidern der Frauen haften. Aus dem Konzertsaal kamen nur noch ein oder zwei kleine Gruppen und zuletzt ein verspätetes Paar…
Ich wollte mich eben abwenden, als zwischen den mächtigen Säulen, die den Eingang flankierten, eine Frau erschien. Sie war von eigenartiger Schönheit. Ihr ovales Gesicht, der sanfte Bogen der Brauen, die dunklen Augen und die ungetrübt heitere, hochgewölbte Stirn – all das war wie das Heraufdämmern eines schönen, klaren Sonnentages. Vollendet, endgültig geformt, möchte ich sagen, war nur ihr Mund, als wäre er viel reifer als. das Gesicht. Um diesen Mund lag ein Zug, der zugleich Freude und Verlangen wachrief, wie beschwingte Musik, etwas sehr Leichtes, Unbeschwertes und doch Erdgebundenes. Sie teilte ihre Schönheit allem mit, dem sie sich näherte. Als sie an der Treppe angelangt war, legte sie ihre zarte weiße Hand auf den rauhen Vulkanitblock. Sogar dieses tote Gestein schien sich im Augenblick zu beleben. Sie kam auf mich zu. Das schwere, locker herabfallende Haar glänzte im hellen Licht wie Gold. Ich wunderte mich, daß sie gar nicht so groß war, wie es zuerst den Anschein hatte. Sie hatte ebenmäßig gerundete, glatte, leicht dreieckig geformte Wangen und am Kinn ein kindlich wirkendes Grübchen. Als sie an mir vorüberschritt, sah sie mir in die Augen. Bei dieser Kopfwendung traten die Sehnen an ihrem Hals wie die Saiten eines zarten Instruments hervor. „Allein?“ fragte sie.
„Ja“, bestätigte ich und nannte meinen Namen.
„Ich heiße Callarla und bin Biophysikerin“, antwortete sie. Der Name war mir bekannt, aber ich vermochte mich nicht zu erinnern, in welchem Zusammenhang ich ihn gehört hatte. Wir
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